Über Geburtstag auf dem Spielplatz und keinen anaphylaktischen Schock
Endstation
Warum hier plötzlich so viele Kinder seien, frage ich leicht entnervt. Sie sieht mit mich irritiert an und erklärt, dass wir uns nunmal auf einem Spielplatz befänden, da sei das nicht ganz unüblich. Achja, lenke ich ein, nicke und starre leicht vor mich hin. Es ist mein Geburtstag und manchmal läuft es ja nicht so wie geplant. Vielleicht sollten wir nächstes Jahr den Kindern erst im Nachhinein verraten, dass ich Geburtstag habe, dann würden sie nicht schon fünf Uhr aufstehen und danach den ganzen Tag am Rad drehen, schlage ich vor. Ja, das ginge vielleicht, bestätigt sie. Dann müssten wir auch nicht den halben Geburtstag auf dem Spielplatz verbringen. Kurz schweigen wir und sehen den Kindern dabei zu, wie sie sich an einer Pumpe von oben bis unten mit Schlamm bekleckern. Was ich mir denn wünschen würde, so vom Leben, fragt sie nach. Aktuell eigentlich nur einen Wespenstich mit anaphylaktischem Schock, weil dann könnte ich ins Krankenhaus und in weißer Bettwäsche liegend den restlichen Tag Sat.1 Gold gucken. Sie kichert. Der kleine Sohn ruft plötzlich herzerweichend. Eine grüne Murmel sei das gewesen, schimpft er laut und zeigt auf seinen kleinen nackten Fuß. Eine Wespe hat ihn gestochen. Mich latent schuldig fühlend bastle ich aus einem herumstehenden Buddeleimer, einer Socke und Pumpenwasser eine provisorische Kühlung und beschließe, meine halbstündige Geburtstagsmidlifecrisis wieder zu beenden.
Rituale
Die Krise war beendet, der Geburtstag war weiter etwas chaotisch. Dabei begann er, wie eigentlich alle Geburtstage beginnen: Die Kinder wachen auf, machen hektisch etwas Lärm. Man muss die Augen geschlossen halten und so tun, als würde man weiter schlafen. Das ist ein sehr wichtiges Ritual. Nach vielen endlosen Raschelmomenten kommt die Familie ans Bett, stellt sich wie ein Orgelpfeifen-Chor auf und singt – unabgesprochen immer in genau dieser Reihenfolge: »Am Fenster heute Morgen«, »Weil Du heut Geburtstag hast« und »Happy Birthday«. Am Geburtstagstisch gibt es unseren sehr geliebten Familiennusskuchen, der diesmal eine dramatische Vorgeschichte hatte, und sehr aufgeregte Kinder mit ihren Geschenken. Vielleicht war die Aufregung dieses Mal ja auch größer als sonst, weil nach meiner Ankündigung letztens, dass ich eines Tages überraschend alle bisher geschenkten Gutscheine auf einmal einlösen werde, zu einem strategischen Umdenken führte: Es gab keine Gutscheine! Statt dessen zum Beispiel ein sehr niedliches selbst bemaltes T-Shirt mit AstronautInnen, Raketen und Aliens auf der Rück- und dem Spruch „Ich will Kaffe“ nebst Tasse auf der Vorderseite. Also alles drauf, was ich für den Alltag so brauche. Da machte es auch nichts, dass es eine M ist und ich darin ein wenig wie eine Presswurst aussehe, was immerhin zur allgemeinen Erheiterung beitrug.
Besuch
Nach einem irgendwie anstrengenden Tag – auch Kuchen Essen kann Diplomatie erfordern – finden wir abends einen schönen Abschluss bei einer sponaten Musik-Party zu vierplus-einst im Wohnzimmer, bei der fraumierau alle damit schockiert, wirklich jeden deutschen Schlager der 60er und 70er mitsingen zu können. Während sie ausdauernd zu erklären versucht, das Läge an ihrer Kindheit und sie könne nichts dafür, klingelt es und eine Freundin steht in der Tür. Sie sei gerade in der Gegend gewesen. Ich glaube, den letzten unangekündigten Besuch hatte ich 1993, als Karsten klingelte und von der Straße aus rufend fragte, ob ich zum Fußball spielen runterkommen könne. Ich dachte ja, seitdem sie diese Kulturtechnik zurecht ausgestorben, weil wie soll man sonst angstfrei ohne Hose rumlaufen können? Wir setzten uns jedenfalls hin und es war eigentlich ganz schön, bis wir Urlaubsgeschichten austauschten. Ich konnte meine 24h-Camping-Story zum besten geben, als die Gästin mit einer „Es war so schön ruhig zu zweit in der Natur“-Geschichte konterte. Fotos wurden gezeigt und als das dritte Mal diese wunderbare Stille im Urlaub betont wurde, fragte ich, ob sie vielleicht auch noch eine Tonaufnahme der Stille vorführen wolle? Gut, dass ich frage, antwortete sie, sie hätte es tatsächlich aufgenommen. Es folgen fünf Minuten Grillenzirpen und Vogelgezwitscher und sonst nichts und ich fand dann, es sei ja auch schon spät und auch am Geburtstag müsse man schlafen, man werde ja nicht jünger. Wir würden uns ja dann spätestens in einem Jahr wiedersehen sehen, nein, sie brauche mir die Tonaufnahme nicht per Mail senden, tschüss.
Die Geburtstags- und Einschulungsfeier mit FreundInnen am Samstag lief übrigens gut. Bis auf das Glas Pesto, das ich von der frisch gestrichenen Wand wischen musste. Aber das erzähle ich vielleicht ein anderes Mal.
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4 Kommentare
Julia · 13. August 2019 um 9:20
Lieber Casper!
Happy Birthday! Ich hatte gestern meinen 41. Geburtstag. Wir haben 4 Kinder zwischen 3 und 8. War auch nicht der beste Tag im Jahr. Aber dann haben wenigstens die anderen 364 (oder dieses Jahr 365) Tage eine Chance.
LG Julia
Richard & Hugo · 13. August 2019 um 10:14
Dieses Augen zu & weiter schlafen. Warum will das eigtl. nicht funktionieren? In der Theorie eine so sichere Bank…
P.S.: Happy Birthday nachträglich!
LG, Richard & Hugo vom https://www.vatersohn.blog/
jana hedderich · 19. August 2019 um 18:04
Vielen Dank für wieder einmal einen wunderschönen Start in den Montag. Gibt’s zur Pestogeschichte auch ein Foto?
Über die Lebenserwartung von Eltern und ein dummes Gefühl in der Notaufnahme - vier plus eins · 19. August 2019 um 23:46
[…] nichts mehr mit, denke ich. Wenn das jetzt das Ende ist, dann ist es ein bisschen unprätentiös. Letzte Woche noch hatte ich mir einen Krankenhausaufenthalt gewünscht. In meiner Vorstellung aber gab es weiße Bettwäsche und Retro-Serien auf Sat.1-Gold. Jetzt gucke […]