Über Kinderflohmärkte, alte Telefone, Waschsalons, Tofu auf dem Land und Tenials mit nervous breakdowns

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Kinderflohmarkt

»Das war früher mein Badeanzug!«, scherze ich. »Achso, ja. Na dann…«, antwortet sie und geht eilig weiter. Na dann?, überlege ich? Was soll das denn heißen? Ich stehe in brütender Hitze auf einem Kinderflohmarkt und vertrete fraumierau am Stand. Seit sie gegangen ist, um mit den Kindern von den Einnahmen möglichst nichts zu kaufen, hält niemand mehr an. Nur diese eine Frau. Und sieht sich einen Kinder-Badeanzug in Türkis an. Mein Versuch, geborgenes fraumierau-Aussehen mit Stillkind im Tragetuch durch Witz auszugleichen, kommt wohl nicht so gut an. Ich schiebe den Badeanzug leicht beschämt zurück und schweige ab dann. Immerhin einen Rock verkaufe ich, bis die Familie zurück ist.

»Mein« Badeanzug

Warum denn so wenig verkauft worden sei, fragt sie. Ich zucke betont unwissend mit den Schultern und gehe mir die restlichen Stände ansehen. Auf so einem Kinderflohmarkt fällt einem erstmal auf, wie viel Zeug es eigentlich gibt. Keine Angst, ich konvertiere nicht zum Minimalismus, aber dieses ganze Zeug in allen Farb- und Formschattierungen ist schon überwältigend. Am schnellsten werden übrigens Schuhe verkauft. Verzweifelte Eltern wittern die Chance, einmal nicht fünfzig Euro für ein Paar Kinderschuhe, das eh nur ein paar Monate hält, ausgeben zu müssen. Nachdem fraumierau unsere mundgeblasenen Winter-Öko-Stiefel für zwei Euro (2!) anpries (»Alles muss raus«), war unser Stand schnell halb leer. Ich hätte die Stiefel ja lieber in eine Glasvitrine gestellt und das Kunstwerk »Fuß-Wucher« genannt. Das klingt so ein bisschen eklig, aber es ist ein Statement.

Immerhin konnten die Kinder diesmal davon abgehalten werden, gleich wieder den Flohmarkt leerzukaufen. »Nein, die ein Meter große Rakete können wir heute leider nicht kaufen. Nein, Du hast schon so viele Taschen. Nein, ein „Audio Memory“ ist vielleicht keine so gute Idee« (aus der Kategorie: Eltern-hassende Spielzeuge) Aber eigentlich klappt es ja mit dem Taschengeld ganz gut. Die Kinder haben ihr Erspartes und damit dürfen sie dann meistens machen, was sie möchten. Die Kinder vom Nachbarstand haben ihr Erspartes für kleine gebrauchte Plastikfiguren ausgegeben. Drei Euro fünfzig das Stück. Irgendwo schleicht ein Mensch ohne Gewissen über den Markt und zieht Kinder ab. »Nein!« – die Kinder, flehen, dass die Väter jetzt nicht den Typen suchen und schimpfen gehen. Das ist ja sonst peinlich und die Figuren seien doch wirklich toll. Peinliche grummelnde Väter, das wollen wir ja alle nicht. (Das Alter bevor Kinder ihre Eltern peinlich finden, ist auch nicht schlecht!)

Kinder und alte Telefone

Was mich auf dem Flohmarkt mal wieder überrascht hat: Kinder haben offenbar eine genetische Veranlagung dazu, Telefone zu erkennen. Sie sehen heute ja nur noch Smartphones. Wählscheibentelefone sehen völlig anders aus. Und dennoch, rennen sie auf jedes Telefon zu, greifen zum Hörer und brüllen „Allo?! Allo?!“ rein. So wurde mein Spielplatzaufenthalt mit dem Babysohn auch nur so mäßig entspannt. Ich dachte, wir setzen uns ein bisschen hin und chillen rum, statt dessen spielt er die ganze Zeit an seinem Telefon rum. Von wem er das nur hat?

Jetzt leg‘ doch mal das Telefon weg!

Einkleiden

Das morgendliche Einkleiden für den Flohmarkt verlief wieder etwas schleppend. Die Kinder dürfen sich in der Regel ihre Sachen selber raussuchen. Wir stehen dann nur beratend zur Seite. Da knapp 30 Grad angesagt waren, gab es nicht unbedingt vorbehaltlose Zustimmung, als ein Kind mit Strickjacke und Unterhose ankam. »Du, es soll heute warm werden. Vielleicht solltest Du Dich doch anders anziehen?« Stille. »Ok, dann lass ich die Unterhose weg!«

Mit der Waschmaschine waschen?

Hätte ich ja auch gern. Aber so viele habe ich zur Zeit eh nicht. Unsere Waschmaschine ist nämlich verstorben. Wie letztens erst unser Geschirrspüler. Ich ärgere mich immer noch, dass ich zur Geburt des zweiten Kindes extra hochwertigere Haushaltsgeräte angeschafft habe, weil: Die gehen halt auch nach vier Jahren kaputt. Der Handwerker rollte nur mit den Augen, als er sie sah. Wie oft wir denn waschen würden, fragte er. »Ja, so ein bis zwei Mal am Tag vielleicht?«. Er schien kurz in Schockstarre zu verfallen. Warum wir denn so viel waschen würden? »Ähm…« … fraumierau nickt in Richtung Kinderrudel, dass sich die Nase plattdrückt, um auch nichts von der Handwerker-im-Haus-Show zu verpassen. Haushaltsgeräte sind ja vor allem zum Angucken da, habe ich manchmal das Gefühl.

Punk im Waschsalon

Zur Strafe sitze ich gerade in einem Waschsalon. Ha, nein, ist gar nicht so schlimm. Weil, da kann man in Ruhe sitzen und einen Blogartikel schreiben. Früher bin ich abends in DrumnBass-Schuppen gegangen, jetzt freue ich mich auf zwei gemütliche Stunden im Waschsalon. Wurde letztens aufgeklärt, dass Punk ja viele Gesichter habe. Also stelle ich fest: Neben der Dash „Alpen Frische“-Packung (warum das Leerzeichen?!) sitzen und auf die Maschinen warten, ist mein Punk. Ist hier immerhin so ein Laden mit Späti drin. Und WLan. Berlin hat ja nicht nur Nachteile.

DAS HEISST ALPENFRISCHE UND NICHT ALPEN FRISCHE!

Jetzt fragt sie mich, warum ich nicht unser Bioökoglücklichetenside-Waschmittel mitgenommen habe. Ey, es ist 23 Uhr und ich sitze im Waschsalon. Keine klugen Kommentare, bitte!

Ich würde hier gern so eine „braucht nur 25 Minuten für eine Wäscheladung“-Maschine mitnehmen. Ich vermute mal ganz stark, dass die mehr als zwei Mal am Tag läuft. Und diese riesigen Trockner. Tatsächlich trocknen die und laufen nicht wie unserer eine halben Nacht, bis der Nachbar verzweifelte Briefe schreibt, weil er nicht mehr in der Küche schlafen kann. Er ist übrigens mittlerweile ausgezogen und hat geschworen, den Nachmietern schonungslos mitzuteilen, dass in der Wohnung drüber Kinder wohnen. Also er habe nichts gegen Kinder, aber da müsse knallhart aufgeklärt werden. Seit er weg ist, müssen wir wenigstens nicht mehr morgens um eins seinem schlechten Gitarrenunterricht zuhören. Win-Win.

Tofu auf dem Land

Am Wochenende hat sich fraumierau Curry gewünscht. Wir waren gerade auf dem Land, ich hatte noch nie Curry gemacht, also Rezept gegoogelt und in den Supermarkt gefahren. Wie ich auf Tipp meiner Lieblingsfoodinstagrammerin cgoedke lernte, gibt es „keine Rezept“-Rezepte und ich war ermutigt, die meisten Rezept-Zutaten ggfls. einfach zu ersetzen. Nur Tofu hätte ich schon gern gehabt. Nach zehn Minuten vergeblichen Suchens (Ich frage ja nur sehr ungern), ging ich dann doch entschlossen auf eine Verkäuferin zu und erkundigte mich, wo denn nun der Tofu stehe. »Tofu?«, fragte sie. »Ja, Tofu. Wo steht er? Ich finde es einfach nicht«. Sie überlegt kurz. »Was ist denn Tofu jetzt genau?«. Ich muss wohl kurz entgeistert geguckt haben, stellte mir dann aber vor, dass so ein Friedrichshain-Hallodri mit bedrucktem Shirt, Bart, Tattoo und drei Kindern im Schlepptau im Supermarkt auf dem Land vielleicht ja doch ein Klischee ist und Tofu nun mal nicht auf dem Baum wächst. »Ja, also das ist so eine meistens helle Masse, wird aus Sojabohnen gemacht, oft genutzt als Fleischersatz in vegetarischen oder veganen Gerichten«. Ich glaube, vorm ersten Komma ist sie ausgestiegen. Sie verschwindet kurz, meint, er stünde beim Grillgut, sie könne mir aber wirklich nicht helfen und sie müsse jetzt ganz dringend weiter. Da Halumni, den ich sicher gerade falsch schreibe, kein Tofu ist, gab es eben keinen und so wurde aus Curry mit Tofu einfach Curry mit Nix. Wir hatten ja auch schon Tom Kha Nix Suppe. Überhaupt: Nix ist regional, saisonal, preiswert, bio und nachhaltig. Denkt mal drüber nach.

nervous breakdown und Tenials

Immerhin nehmen die Kinder die Kochexperimente geduldig hin. Im Zweifelsfall lässt man ihnen einfach etwas Reis pur übrig, dann helfen sie sich selbst weiter. Weniger geduldig sind sie in anderen Situationen. Überhaupt gibt es ein Phänomen, dass man wohl am besten als »nervous breakdown« bezeichnet. Zum Beispiel, wenn man sich als Elter heimlich ins Bad geschlichen, die Tür abgeschlossen und einfach mal unbeobachtet auf die Toilette gesetzt hat. Wenige Sekunden später klopft es emphatisch an der Tür. Man müsse sofort ins Bad. Ja, aber, man sei doch gerade im Bad, es würde noch kurz dauern. Nein, die Tür müsse SOFORT geöffnet werden. Aber das ginge eben gerade nicht, man solle sich doch noch kurz gedulden – was denn eigentlich los sei? Man müsse sich die Hände waschen. SOFORT. Man habe dreckige Hände. Das sei jetzt wichtig. In dieser Situation sind jegliche Argumentationsversuche zum Scheitern verurteilt. Man braucht auch gar nicht damit zu kommen, dass es vielleicht dringender sei, auf die Toilette zu gehen, als sich die Hände zu waschen und gleich ginge es ja wieder. In dieser Situation, hinter bzw. vor verschlossener Tür, kommt es gern zu einem nervous breakdown. So gefühlsmäßig als wäre einem Erwachsenen nach dem Autounfall aufgefallen, dass man vergessen hat, die Versicherung zu bezahlen. Völlige Verzweiflung. Das tut einem dann auch leid, aber so ein bisschen wie auf einen Autounfall guckt man dann auch. Also beim breakdown. Dafür ist nach dem Händewaschen dann sofort alles gut. Ich glaube, die Kinder würden am liebsten das Bad-Schloss sabotieren. Das erinnert mich dran, dass ich mal bei einer Familie zu Gast war, wo der Vater an allen Türen die Schlösser ausgebaut hat. Das kam mir auch ein wenig irre vor. Also nach dem breakdown jedenfalls ist mir der Begriff „Tenials*“ eingefallen (*Tenials: Menschen, die in den 2010er Jahren geboren sind). Gibt es den? Sind ja alle ständig von den Millenials überrascht. Wartet mal auf die Tenials und ihre nervous breakdowns, hihi.

Und, neu, in der beliebten Kategorie „ihre Woche – seine Woche“:

Zu Hause feiern die Kinder fraumierau eine Fernsehabend-Party mit selbstgemachten Popcorn:

Während ich im Waschsalon sitze. Ich muss meine Meinung ändern: Ist doch nicht so punk. Popcorn ist punkiger.

So, jetzt ist die Wäsche gleich fertig. Ob ich mir beim Gehen noch meinen eigenen Spinner kaufe?

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Kategorien: Montagspost

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6 Kommentare

Sag auch noch was · 13. Juni 2017 um 1:01

Wir sind gerade im Urlaub. Hier gibt es Spinner mit LED-Licht! Mussten heute drei kaufen -Fitness Spinner, wie die Tochter sagt. Ach ja, Eure Öko-Schuhe hätte ich auch gekauft und die tolle Regenbogenjacke, dumm nur, dass Berlin so weit weg ist.

Rebecca · 13. Juni 2017 um 8:10

Da muss ich ja jetzt fast die sektkorken knallen lassen. Bei uns auf dem Land gibt es Tofu! Allerdings muss man erstmal ein paar Kilometer zum nächsten Laden fahren…

Viviane · 13. Juni 2017 um 8:55

Ich bekomme nun leider nicht das Bild aus dem Kopf vom Friedrichshain-Hallodri mit Bart und Tattoo, im türkisen Badeanzug mit Spinner in der Hand!
(Aber das machst du gut mit dem Spannungsbogen, ich brenne darauf zu erfahren, ob der Held der Geschichte sich wohl irgendwann tatsächlich einen Spinner kauft!!!)

Heike W. aus LIP · 13. Juni 2017 um 9:44

…und ich muss ab und zu noch immer an die kryptisch-finstere Nachbarin mit dem einlullend österreichischen Akzent denken. Das Leitmedium kann seiner Frau wirklich dankbar sein, dass sie ihm damals strikt untersagte, in der Wohnung gegenüber rumzupömpeln. Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können! Frauen haben diesbezüglich doch ganz eindeutig den besseren Durchblick. Offensichtlich gibt die Nachbarin aber nicht so schnell auf, wie man deutlich an der jüngsten Spiegelbruch-Blutbad-Offensive erkennen kann. Sehr merkwürdig…

Elter · 13. Juni 2017 um 22:45

ich dachte nix wird den ärmsten der armen abgezweigt, weil sie so viel davon haben? Es ist also nicht fair trade!

Wiebke · 13. Juni 2017 um 23:52

Die Mütze mit den Affen..gebt zu, die habt ihr irgendwo zwischen Forcki und Rewe gefunden..vor drei Jahren???
Da haben wir zumindest unser heißgeliebtes Exemplar verloren 😉

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