Über Salbeitee, Kidsplaining, Adultus Interruptus und Altherren-Knigge

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Salbeitee

Nein, Salbeitee ginge wirklich nicht. Der würde so sehr nach Salbei schmecken. Ob nicht auch ein Baby-Bäuchleintee möglich wäre? Der schmecke so gut! Das kranke Kind weigert sich beharrlich, elterliche Tee-Ratschläge anzunehmen. Zwar hustet es sich förmlich die Seele aus dem Leib, bleibt aber völlig unbeirrt in der Tee-Frage. Ich frage mich, wo die Evolution eigentlich falsch abgebogen ist. Rein biologisch ist es ein Wunder, dass beratungsresistente Kinder den ersten Winter überleben. Nun, Bäuchleintee würde vielleicht bei Husten nicht so sehr helfen, weil ein Hals sei ja kein Bauch, wende ich ein. Ja, das schon, aber Tee sei je eben Tee und heiß sei er auch und ich würde ja immer sagen, wenn man erkältet sei, würde Wärme helfen und wenn der Tee warm sei, dann helfe er eben, egal ob mit oder ohne Salbei.

Pflücken: ja, trinken: nein.

Das stimme schon, gebe ich zu, aber es würde schon einen Unterschied machen, ob man nun Salbeitee oder irgend welches gesüßte Pulverzeug zu sich nehmen würde. Ich könne ja aus der Wikipedia vorlesen, wie gut Salbei sei?! Zwei äußerst desinteressierte Augen sehen mich an. Ob es denn wenigstens einen Esslöffel Honig in den Tee geben könne, werde ich gefragt. Und ich solle jetzt nicht wieder was gegen Süßes sagen, weil ich hätte selbst gesagt, dass Honig gut für den Hals sei und außerdem müsse man die Bienen retten und da sei es ja gut, wenn die was dazuverdienen würden. Und außerdem hätte ich betont, „Dein Körper, Deine Regeln“ und jetzt gebe es eben eine „kein Salbeitee“-Regel, da könne man nichts machen.

Kidsplaining

Während der Wortschwall weiter auf mich einprasselt und ich mich dran erinnere, dass ich endlich zum HNO-Arzt gehen will, weil ich in letzter Zeit so ein komisches Geräusch im Ohr habe, wenn die Kinder zu laut sind, fällt mir wieder das Wort „Kidsplaining“ ein. Es wird ja viel – völlig zurecht – über Mansplaining diskutiert. Aber Kidsplaining, darüber schreibt niemand. Dabei machen die das ganzen Tag: Alles erklären. Wirklich alles. Da müssen sie Dir dann auf die Nase binden, wie Du das Essen besser kochen solltest, warum im Wald keine Pilze zu finden waren, wie Raketen funktionieren, ob es Gott gibt, welche Strategie im Spiel die Beste ist, ob es regnen wird, wie man „Lord Voldemort“ oder „Phở“ richtig ausspricht. Und wenn man aus Spaß und reiner Selbstverteidigung statt einer weißen Flagge den Schweigefuchs zeigt, gibt es Belehrungen, dass man die Finger dabei anders halten müsse. Mein Plan, ab zwei Kindern ein auditives Perpetuum Mobile zu schaffen, dass sich selbst in Grund und Boden diskutiert, ist leider fehlgeschlagen. Stattdessen wird in einer Art Debattierclub geübt, um noch ausdauernder die Welt zu erklären.

Adultus Interruptus

Das würde ja auch alles noch gehen, wenn man als Eltern zwischendurch zumindest die Chance auf ein fünfminütiges Planungsgespräch hätte. Fünf Minuten! So ein einfaches „Was kaufen wir ein, was gibt es zum Mittag, wo wollen wir Spazieren gehen, wollen wir einen Film sehen?“-Gespräch. Durchaus im Interesse aller Anwesenden also. Keine Chance. Es muss evolutionär irgendeinen Vorteil bieten, jeden Satz zu unterbrechen. Und sich dabei noch gegenseitig zu stören. Vielleicht sollte man das einfach „Adultus Interruptus“ nennen und vielleicht hört ja es auch in irgend einem Alter wieder auf. Jedenfalls hängen Eltern deswegen so viel am Smartphone, weil sie sonst nicht einmal besprechen können, wer zuerst auf die Toilette geht.

Niesen im Knigge

Während ich in Gedanken abschweife, dauert der Vortrag übers Teetrinken an. Ein lautes Niesen reißt mich wieder in die Gegenwart. »Gesundheit«, stammle ich, werde aber sofort belehrt, dass ich doch letztens gesagt hätte, dass man sich jetzt entschuldigen müsse. Weil das würde im Knix stehen. Das stimmt, das hatte ich gesagt. Das ist so ein Büro-Smalltalk, den man hundert mal führt. Jemand niest und irgendjemand sagt „Man sagt nicht mehr Gesundheit. Im Knigge steht, dass man sich dann entschuldigen muss“. Als gute Preußen tun wir das dann auch und erzählen es brav zu Hause weiter.. Aber ich habe nochmal drüber nachgedacht und beschlossen, dass ich das dämlich finde. Auf der schockierend hässlichen Webseite des Knigge steht dazu:

»Muss man selbst, oder aber eine andere Person in einem Raum niesen, ignoriert man dies als einen unerheblichen Zwischenfall. Dieser sollte nicht durch ein schallendes „Gesundheit!“ zu einem Drama gesundheitlichen Verfalls verfremdet werden. […] ein kurzes „Entschuldigung“ ist durchaus angebracht, denn nicht selten zuckt der Eine oder Andere durch das laute „Hatschi“ erschrocken zusammen.«

Ok, oder man lässt sich einfach von grenzdebilen Altherrentipps nicht mehr den zwischenmenschlichen Umgang erklären. Das muss man jetzt nur freundlich fürs nächste Bürogespräch aufbereiten. Dem Kind erkläre ich, dass ich mich geirrt hätte. Das bringt es ganz aus der Fassung. Mit so viel Selbstoffenbarung hatte es jetzt nicht gerechnet. Kurz ist Stille. Aber letztens hätte ich mich auch schon mal geirrt, das sei ja schon zwei Mal, fährt es fort…

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Das fulminante „Nicht durchdrehen mit Kindern„-Staffelfinale von MKL ist erschienen. Gar nicht mal so schlecht geworden.

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Kategorien: Montagspost

leitmedium

Parteiloser Postprivatier.

7 Kommentare

Doro · 11. September 2018 um 6:10

Es gab da eine Zeit, da hat das Elter sehnsüchtig darauf gewartet, dass das liebe Kindlein endlich endlich seine ersten Worte von sich gibt. Irgendwann wäre das Elter dann froh, wenn das Kind zwischendurch auch mal eine Pause machen würde mit reden.
Bei uns schafft es schon ein Kind alleine, uns in Grund und Boden zu reden. Ich hatte allerdings die Hoffnung, dass diese Phase in nicht allzu ferner Zukunft ein Ende hat.
Der Heimweg vom Kindergarten ist seit Tagen von der Frage begleitet: „Wieviele Menschen können mit diesem Auto mitfahren?“ Jedes einzelne Auto muss im Hinblick auf seine Mitnahmekapazität untersucht werden. Und dann setze ich mich mit dem Töchterchen zum Abendessen hin und ihr fällt folgendes Animationsprogramm ein: „Wieviele Menschen sind wir? Wieviele Mädchen sitzen hier am Tisch? Wieviele Frauen sitzen hier am Tisch? Wieviele Männer sind hier am Tisch? Wenn die Oma noch kommen würde, wieviele Menschen wären wir dann? Wenn die Tante Frieda noch kommen würde, wieviele Menschen wären wir dann?“ *Hier bitte Dauerschleife des Dialogs in endlosen Varianten einfügen* DAS sagt einem keiner, bevor das Kind auf der Welt und in der entsprechenden Phase ist.

    Britta · 11. September 2018 um 9:11

    Hahahaha…..????

    Almi · 11. September 2018 um 14:00

    Oooh jaaa! ??

Pia · 11. September 2018 um 11:10

Beim ersten Kind wetteiferten wir auch noch ob es zuerst Mama oder Papa intoniert („Papa“ hat gewonnen). Nun beim Zweiten hoffen wir, es möge einfach noch 3-5 Jahre warten mit dem Sprechen und Laufen …
Und alle Bekannten mit Teenagern lächeln immer so wissend süffisant …

Petra · 11. September 2018 um 15:42

Gab es für das Kind vielleicht Stillbeschäftigung mit der Apothekenrundschau?
„Wenig Positives förderte dagegen eine Stichprobe des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) im Sommer 2013 bei verschiedenen Kräutertees zu Tage: Die Experten schlugen damals Alarm, weil sie unter anderem unerwartet hohe Dosen an Pyrrolizidinalkaloiden (PA) festgestellt hatten.

Diese PAs sind Pflanzeninhaltsstoffe, die von den Pflanzen unter anderem zur Abwehr von Fressfeinden gebildet werden. Sie können gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen haben und zum Beispiel in hoher Dosierung zu Leberschäden führen.“
Dann braucht man den Bäuchlein-Tee.

links vom 11.09.2018 | endorphenium · 11. September 2018 um 22:01

[…] Über Salbeitee, Kidsplaining, Adultus Interruptus und Altherren-Knigge – vier plus eins […]

Über Konferenz-Kinder, Stummschalten, Koffer-Basteln und Staub-Feen - vier plus eins · 12. Mai 2020 um 7:09

[…] Jedenfalls führt die aktuelle Dauer-Zusammensei-Zeit natürlich auch zu mehr Gelegenheiten für Kidsplaining, weil, wenn Kinder sich nicht gegenseitig kidsplainen können, müssen eben die Eltern ran. Als ich […]

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