Über das Zauberwort, keine Geheimnisse und Türpolitik

Veröffentlicht von leitmedium am

Das Zauberwort

»Wie heißt das Zauberwort?«, donnert es mit gewaltiger Stimme hinter dem Tresen. Die Kinder irren im Supermarkt allein umher und kaufen ihre Lieblingslebensmittel fürs Wochenende. An der Käsetheke stehen sie aufgereiht wie Orgelpfeifen vor der großen Scheibe. Ein Kind drückt sich die Nase platt, eins trommelt nervös gegen die Vitrine und eins versucht es noch einmal mutig mit »Ein Stück Camembert?«. Abermals schallt es »Wie heißt das Zauberwort?«. Betretenes Schweigen. Die Kinder starren ratlos die Verkäuferin an. »Expelliarmus!«, brüllt plötzlich das Kind in der Mitte, fuchtelt dabei mit dem Arm und legt stolz den verschwörerischen „Ich habe verstanden“-Blick auf. Jetzt starrt die Verkäuferin ratlos zurück, schüttelt den Kopf und wickelt mit einer resignierten »früher wär das nicht passiert«-Mine das unförmigste Stück Käse ein, das sie finden kann. Die Kinder freuen sich, dass sie das Rätsel gelöst haben und erklären mir, dass sie hier gern wieder einkaufen gehen wollen. Die Käsefrau sei auch ein Fan.

Zu fünft zu sechst

Ich lasse das so stehen, denn ich hätte in dem Alter wohl einfach »Simsalabim« geantwortet und aus mir ist ja auch was geworden. Und zur Zeit beschäftigen uns ja auch eher andere Themen wie zum Beispiel Reisen. Wir waren viel mit Zügen unterwegs und so langsam klappt es ganz gut mit dem Buchen, Vorbereiten und Aushalten. Aber so richtig gut funktioniert es vor allem, wenn man ein Sechserabteil als Familie für sich hat. Das bedeutet zu fünft, vor jedem Zwischenhalt eine vorab einstudierte „hier ist alles belegt“-Choreographie zu beginnen. Kurz überlege ich, ob wir nicht nächstes Mal einfach eine der gruseligen Babymassage-Puppen von fraumierau mitnehmen und in einen Sitz setzen sollten. Doch dann fällt mir der riesige Kuscheltier-Affe auf, der ja auf jede Fahrt mitgeschleppt werden muss. Mit Mütze, Shirt und Blick aus dem Fenster sieht er im eiligen Vorbeigehen wie noch ein Babysohn aus. Die Kinder kichern verschwörerisch, wie letztens, als wir Spaß mit Bluetooth-Boxen hatten und wir bleiben tatsächlich unter uns.

Wahl-„Geheimnis“

Geheimnisse und Verschwörungen sind eh gerade groß im Kurs. Bis auf manchmal. Zum Beispiel nach der EU-Wahl. Einen Tag danach kamen die Kindergarten-Kinder nach Hause und zählten minutenlang auf, welche Eltern was gewählt haben. Offenbar wurde da ein Sitzkreis selbst organisiert, in dem die Kinder sich gegenseitig die Wahlergebnisse gesteckt haben. Ist ja vielleicht auch mal eine gute Abwechslung zu Gitarren-Liedern und Fingerspielen, aber ein bisschen gruselt es mich ja immer davor, was die Kinder eigentlich sonst noch so alles in der Kita rumposaunen. Nachdem der kleine Sohn ein paar Tage nach der Vasektomie mich morgens besorgt mit »Na, Papa, wie geht es Deinem Puller?!« weckte, habe ich eine Vermutung, was es so sonst noch als Gesprächsstoff gab.

Panik-Schlaf

Aber zurück zur Reise. Ich hatte in Stuttgart meinen Panik-Moment des Jahres: Ich wache auf, liege im Bett. Allein. Draußen ist es hell. Niemand ist im Zimmer. Ich merke am Tageslicht, dass es jetzt nicht morgens sein kann. Ich höre nichts. Kein Geschrei, niemand ruft, keine Lego-Steine klimpern. Ich fange an zu transpirieren und bin mir sicher, dass etwas wirklich Schreckliches passiert sein muss. Ich springe aus dem Bett, orientiere mich in der fremden Wohnung, eile umher und stelle fest: Ich bin mitten am Tag eingeschlafen, während die Kinder nebenan Peppa Wutz durchbingen und fraumierau unten eine Lesung hält. Während ich ins Zimmer luge, tönt es nur »Papa, Du hast Schlafgeräusche gemacht!« Und damit ist es amtlich: Ich habe am Wochenende einen Mittagsschlaf gemacht! Allein! In einem Bett! Meine zweite Lebenshälfte (die gute!) Ist hiermit offiziell eingeläutet.

Türpolitik

Ansonsten hatten wir in Stuttgart mal wieder nur so halb Glück. Zumindest was das Essen anging. Auf die Frage, ob wir schnell noch zu Abend essen gehen kann ich leider nicht einfach „ja“ antworten, sondern muss dann natürlich immer das beste Restaurant raussuchen. Der Prozess dauert, denn es muss allen perspektivisch schmecken (asiatisch mit Pommes), die Bewertungen müssen astronomisch gut sein und die Strecke noch zu Fuß zurücklegbar, ohne dass jemand den Dienst verweigert. Nach allgemeinem Augengerolle und einer halben Stunde Spaziergang fanden wir das wahrscheinlich beste Restaurant des Universums. Endlich neuer Glanz in meinem Insta-Leben: Schicke Holztische, pittoresk angerichtetes Essen, glückliche junge Menschen, lächelndes Personal. Bis auf die Bedienung, die uns gleich am „Sie werden platziert“-Schild abfing. Auf meine Frage nach einem Tisch für fünf ließ sie kurz schweigend den Blick über die Kinder gleiten, stellte sich ein wenig vor den halbleeren Saal und teilte mit großem Bedauern mit, dass gerade leider alles ausgebucht sei. Wirklich.

Fünf Minuten

Soll sie sich das Essen doch ans Knie nageln, denke ich ziehe mit der Familie weiter. Ein vielversprechendes Restaurant nebenan soll in zehn Minuten aufmachen. Ob wir nicht schon mal reingehen wollen, fragt die Familie. Es täte mir wirklich leid, erkläre ich, aber ich bringe es nichts übers Herz, zu früh in ein Restaurant zu gehen. Wir könnten ja noch ein wenig spazieren, das sei doch schön! Aber niemand hier wolle noch weiter blöd in der Gegend Rumlatschen, die Tür stehe offen und alles sei frei, vor allem die schönen Fensterplätze, hält man mir entgegen. Ja, nein, zu früh kommen sei doch irgendwie peinlich, erkläre ich und wir könnten ja noch zum Geldautomat. Nicht dass das wieder so eine „nein, wir nehmen nur Bargeld“-Situation wird. Zustimmung unter Augenrollen. Eine Viertelstunde später sind wir zurück und … sämtliche Tische an den Fenstern sind besetzt. Wo denn jetzt die ganzen Menschen hergekommen seien, vielleicht aus einem Wurmloch, versuche ich zu scherzen. Der kleine Sohn guckt erschrocken auf den Fußboden, der Rest der Familie ignoriert mich einfach. Das Essen in zweiter Reihe war aber auch nicht schlecht. Das nächste Mal dann eben zehn Minuten zu früh.


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Kategorien: Montagspost

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Parteiloser Postprivatier.

8 Kommentare

Maja Rae · 4. Juni 2019 um 10:32

Ich bin vor ein paar Tagen vor Lachen fast vor dem Trockner zusammen gebrochen, als Mini beim ausräumen half und plötzlich lautstark „Mamas Pussi!! Mamas Pussi!!“ freudig eregt verkündete! XD Gemeint war natürlich mein Pulli. 😉 Rückmeldungen aus der Kita habe ich dazu aber zum Glück noch nicht erhalten! 😀

Danke für diesen wundervollen und wieder mal sehr erheiternden Post! 😀

Kate · 4. Juni 2019 um 11:44

Ich bitte um Offenlegung welches Stuttgarter Restaurant da so besonders kinder“freundlich“ war, damit wir das in Zukunft boykottieren können 🙂

Claudia · 4. Juni 2019 um 13:42

Klingen tut’s immer wie muschig muschig…dabei is schmutzig gemeint(1,9jahre luke)…Dein Post(Und mein täglicher Kaffee latte), macht mein Leben schöner…Danke dafür

mathias · 4. Juni 2019 um 19:51

meine freundin ist fast gestorben vor lachen…. bitte nicht mehr so lustig schreiben

Michaela · 12. Juni 2019 um 22:48

Das Zauberwort, von der Oma eingefordert, als das Kind es nicht abwarten konnte in den Garten zu kommen und ungeduldig ‚Oma, mach jetzt die Tür auf!‘ rief, lautete: Semmel öffne dich!!!! 🙂 zu herrlich.
Da kann man nichts anderes als ‚Danke mein Kind‘ denken, hihi.

Klara · 18. Juni 2019 um 22:39

Die Käse-Frau soll nur froh sein, dass ihr keine unverzeihlichen Flüche um die Ohren geflogen sind! Ich hätte es ja einfach mit einem „Accio Camembert!“ versucht. Und wenn sie mir dann blöd kommt: Zack, bum, „Imperio!“ Immer diese Muggels!

Bitte, danke und Entschuldigung – Sonnenkinderleben · 31. Dezember 2019 um 14:20

[…] zeigen, wie das Vorleben von Dankbarkeit auch funktionieren kann. Lachen musste ich neulich über eine Geschichte von Caspar Mierau, dessen drei Kinder an der Wursttheke gefragt wurden, wie denn das Zauberwort hieße. Er erzählt, […]

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