Über Hilferufe, Wortschatzexplosion und versteckte Wecker

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Hilfe!

»Hilfe! Hilfe!« Die Menschen auf der Straße verfolgen uns aufmerksam. Ich eile mit dem Babysohn auf dem Arm Richtung nach Hause. Der will eigentlich lieber laufen und streckt allen Passanten hilfesuchend die Ärmchen entgegen. Meine Versuche, ihn zur Kooperation zu überreden, bleiben erfolglos. Auch meine Erklärung, dass es bei -5C° und mit nur einem Schuh nicht so gut ist mit dem Laufen, lässt ihn kalt. »HILFE! HILFE!«, ruft er weiter. Kurz befürchte ich, dass jemand die Polizei holt. »Hallo, hier hat ein mittelalter, untersetzter bärtiger Herr ein um Hilfe rufendes Kleinkind auf dem Arm. Wir haben ihn lieber nicht angesprochen aber verfolgen ihn unauffällig!« Ich säusle den Sohn betont laut mit „Wir sind gleich zu Hause“-Melodien an und versuche so einer Verhaftung zu entgehen. Als er weniger Worte kannte, war es ja auch nicht schlecht, denke ich. Da würde er jetzt nur rumnörgeln. Man denkt als Elter ja immer, es wird alles besser und dann stellt man fest, dass es ja doch früher besser war.

Wortschatzexplosion

Überhaupt kann der Babysohn jetzt seit kurzem sprechen und der Wortschatz explodiert förmlich. Natürlich immer in den falschen Situationen. Fällt ihm etwas auf der Straße aus der Hand, ruft er laut „Shit!“. Dann sehe ich fraumierau leicht strafend an, denn diese Vokabel hat er definitiv nicht von mir! Aber das ist immer noch besser als sein leise gezischtes „Scheiße“, wenn er hinfällt. Keine Ahnung, wo er das her hat, verdammt noch mal! Und als die Kinder am Abendtisch fragen, was eigentlich ein „Pisspott“ sei, sie hätten das in einem Buch gelesen, tönt es Sekunden später „Pi… Piss…Pott… … Pisspott. PISSPOTT!“. Vokabel gespeichert. Wortsinn noch unklar. Aber alle Umstehenden reagieren komisch drauf. Muss gut sein. Ich werde mit ihm erst wieder in fünf Jahren das Haus verlassen.

Bücher

Wobei Bücher ja eh ein interessanter Nebenstrang im Familienleben sind. Die Kinder haben letztens ein Buch über griechische Mythologie bekommen. Es war ein schmaler „kindgerechter“ Band. Abends schnappten sie es sich beim Zubettgehen. Ich dachte noch so, naja, werden sie wohl ein paar Seiten draus lesen, es weglegen und dann motiviert man sie mal irgendwann zu dem Thema. Am nächsten Morgen wurde jedoch stolz verkündet, dass das ganze Buch schon durchgelesen sei. Aha, was denn so drin stand, frage ich. Ach… eigentlich nichts so richtig. Also doch, da gab es Zeus und äh… Frauen mit Schlangenköpfen … und da wurde der eine Mensch gebraten und … Es folgt eine griechische Horrortragödie nach der nächsten. Ok, denke ich, das hätte ich jetzt so rein vom Inhalt her vielleicht doch nicht rausgegeben. Aber die Kinder zucken mit den Schultern. Eigentlich auch nicht schlimmer als die morgendlichen Nachrichten im Radio. Da ist Griechenland dann noch die kleinste Tragödie. Als es am Wochenende dann in der Moderation beim RBB-Kinderkonzert heißt „Und als Orpheus sich doch umdrehte, wurden die Furien wütend und zerfetzten ihn“, gruselten sich offenbar nur die Erwachsenen im Publikum. Der Mythologie-Drops ist jedenfalls gelutscht und eigentlich sind es ja auch tolle Geschichten. Und: Scheiß auf Superhelden. Die können auch nicht mehr.

Wecker

Language, Herr Mierau! Babysohn hört mit! Aber vielleicht hat er das Wort ja auch nachts aufgeschnappt. Zum Beispiel wenn jeden Morgen 4:22 der Wecker klingelt. Es ist mein alter Wecker aus Kinder-Zeiten. Allein sein ansteigender billig-elektronischer Klingelton triggert mein morgendlich widerwilliges zur-Schule-schleppen. Er muss jetzt hier irgendwo im Schlafzimmer liegen. Jeden Morgen verfluche ich den Tag davor, an dem ich ihn wieder nicht lang genug gesucht habe. Und wieder klingelt er genau sechzig Sekunden. Zu wenig Zeit, um zu Bewusstsein zu kommen, aus dem Bett zu kriechen und sich nach Gehör durch Berge von Wäsche, Legobausteinen und eben all diesem Zeug zu graben, das da so im Zimmer verteilt liegt. Mein Verhör der Kinder, wer sich den Scherz erlaubt hat, brachte nur wissend-lächelndes Schweigen hervor. Ich überlege, mir hier so einen Verhör-Raum einzurichten. Dann spiele ich bad cop und es gibt erst was zu trinken, wenn ich weiß, wo der Wecker versteckt wurde!

Auswärts Schlafen

Kurzzeitig tat sich ja die Chance auf, über das Wochenende wegzufahren und einen Vortrag zu halten. So kurzfristige Sachen mag ich ja nicht, aber die Vorstellung, mal eine Nacht ohne Wecker und allein in einem Zimmer… Ich bekam bei der Vorstellung glasige Augen und träumte so lange… dass ich zu spät zusagte. Na gut, oder man mich nicht einlud, und das ist natürlich ein kapitaler Fehler, weil, wie soll ich sonst jemals wieder von den gebückt gehenden Eltern-Affen zu einem vollwertig munteren Bestandteil der Gesellschaft werden?

Kissen

Und wenn ich schon so wenig schlafe, hätte ich ja wenigstens gern so ein richtig gemütliches Kissen. Einfach mein Eigenes. Eines, das nicht weg ist, wenn ich ins Bett komme. So ein Großes. Als ich verkünde, dass ich beschlossen habe, mir mein eigenes, persönliches Kissen zu kaufen, heißt es nur, ich bräuchte mir gar nicht zu einzubilden, ich könne eins aus Daunen kriegen. Wir würden jetzt nämlich vegan schlafen. Aha, sage ich, aber ich wollte das Kissen doch nicht essen. Der Witz verpufft, und ich glaube, ich muss jetzt auf so Scheiß Plastikkugeln schlafen und dann sagt wieder jemand was mit Mikroplastik und dann schlafe ich nachher auf dem Fußboden und da hat dann auch wieder jemand was dagegen. Und weil sie gerade dabei sei, sagt sie, Oral-B mache übrigens Tierversuche, die seien auch raus. Ich überlege kurz, wie wohl ein Affe mit Zahnseide aussieht. Aber auf die Diskussion lasse ich mich lieber nicht ein, weil sie hat natürlich Recht.

 

So, das wars für heute. Und, ach, und apropos Bücher: Die erste Folge des neuen weltbesten Elternpodcasts „Mit Kindern Leben“ von Patricia „dasnuf“ Cammarata und mir wird von Büchern und Lesen handeln. Solltet ihr noch abonnieren, bevor die anderen Euch das Hörmaterial wegschnappen. (Künstliche Verknappung funktioniert, habe ich in der Medienökonomie-Vorlesung gelernt.)

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5 Kommentare

Gisela · 27. Februar 2018 um 1:00

… vierjährige wird von ihrem vater über die straße nach hause getragen, zuvor flog das kinderrad in die berliner hundesch***:

(laut)
„aua! mein rabenvater tut mir weh!“

*** nein, wir „erziehen“ nicht sch*** autoritär, nein, niemand hat dem kind weh getan, nein, kein jugendamt und auch kein vortrag nötig.

E. · 27. Februar 2018 um 22:10

Also auf das Sprechen warten wir hier noch aber mir ist letztens Ihr Artikel über das mysteriöse Verschwinden von Dingen (gemeinhin „Kind benutzt den Mülleimer“) eingefallen. Als man sich hier nämlich wunderte, wieso denn plötzlich so merklich weniger Kaffeelöffel vorhanden sind.
Damals habe ich ja herrlich geschmunzelt über den Artikel, jetzt… nun… Ich brauche neue Kaffeelöffel. Und entwickle wahrscheinlich den Zwang, ständig den Inhalt meines Mülleimers zu kontrollieren.

Danke jedenfalls für den Artikel.

FrauC · 28. Februar 2018 um 12:35

Hier: „AUAAAAA“ als Steigerung von „Nein“. Gern mit Auf-den-Boden-Setzen verbunden, gern in der (leisen!) Bücherei als Folge der Ankündigung „Wir gehen jetzt.“

Ich warte auch immer darauf, dass jemand die Polizei holt, weil die böse Frau ihrem Kind weh tut… aber offensichtlich muss mehr passieren als Kinder, die Aua oder Hilfe rufen, damit jemand die Polizei holt. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Klara · 1. März 2018 um 9:54

Hier auch griechische Mythologie. Das Kind wünscht sich ein Ausmalbild “ von einem, der in Troja auf dem Boden liegt und ein Speer steckt in seinem Bauch.“ Und im Herbst soll es eine Odysseus-Schultüte sein. Als gestern andere Mütter darüber gefachsimpelt haben, dass „Findet Nemo“ zu grausam für Kinder ist habe ich einfach geschwiegen.

Über Tangabär, Zweite Vornamen und Prosecco auf Kindergeburtstagen - vier plus eins · 5. März 2018 um 23:25

[…] und Du denkst einfach kurz mal an nichts. »Tangabär!«. Seit der Babysohn neben mir sitzt und redet wie ein Wasserfall, ist Schluss mit achtsam-erholsamen Frühstück. Bloß nicht nicht aufpassen. Ich reiche ihm ein […]

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