Über Murmeltiere, Zeitumstellung, den Mute-Button und herzlose Kabel

Veröffentlicht von leitmedium am

Murmeltier

»Guten Morgen, liebe Familie«, eröffne ich, »wir haben heute Montag, den 30. März und diese Mahlzeit ist Euer Frühstück«. Nachdem sich hier innerhalb der letzten zwei Wochen, oder waren es drei?, eine zunehmende temporale »Welchen Tag haben wir heute und wie spät ist es eigentlich und warum überhaupt?«-Desorientierung breitmachte, habe ich die Funktion des morgendlichen Taktgebers übernommen. Meine präventiven Vorschläge, doch einfach ein paar Kalender aufzuhängen, wurden mit als unsinnig abgelehnt, weil da ja doch eh niemand draufgucken würde. Und der Jüngste lächelt nur milde wissend in sich rein, nachdem ich ihm letztens noch zu erklären versuchte, dass der Satz »Die anderen Kinder haben mich gestern und morgen geärgert!« keinen Sinn mache. Jetzt ist seine Zeit gekommen!

Zeitumstellung

Und dazu noch die Zeitumstellung. Dabei war ich stolz, mir dieses Jahr, kurz vor ihrer Abschaffung, endlich die Eselsbrücke merken zu können, dass man im Frühling die Gartenstühle vor die Tür stellt. Natürlich stellt sich ein wenig die Frage, wofür man aktuell überhaupt noch Uhrzeiten braucht, aber das ist vielleicht ein anderes Thema. Den Kindern habe ich erklärt, dass sie jetzt nicht mehr 6:30 Uhr aufstehen bräuchten, sondern 7:30 Uhr und das sei ja auch ganz schön vielleicht. Vor lauter Verwirrung sind sie einfach trotzdem 6:30 Uhr aufgestanden, was dann ja 5:30 Uhr, oder… doch 7:30 Uhr… ich habe keine Ahnung. Jedenfalls war es sehr sehr früh und ich denke darüber nach, einfach alle Uhren einzusammeln und bis zum Herbst zu verstecken.

Mute-Button

Es stimmt natürlich nicht ganz, dass die Uhrzeiten unwichtig sind, weil wir müssen ja neben dem Homeschooling auch weiterarbeiten. Dabei habe ich auch endlich meinen Superhelden-Skill entdeckt: Zwischen Redeanteilen in Videokonferenzen schnell den Mute-Button drücken, kurz die Kinder anpfeifen, die gerade die Möbel zerlegen. Dabei aber bewege ich wie ein Bauchredner kaum die Lippen, weil man will ja professionell wirken. Aber natürlich alles in Giraffensprache und sehr achtsam, indem ich ihnen die Ich-Botschaft sende, dass ich persönlich jetzt ein wenig traurig sei, dass sie gerade die Wohnung in Schutt und Asche legen würden und was denn eigentlich die Metaebene ihrer Mitteilung sei, also was ihr nicht gestilltes Bedürfnis sei, dass sie mit der totalen Zerstörung zum Ausdruck brächten? Die Kinder halten dann kurz inne, sehe mich an, zucken mit den Schultern, drehen sich um und zerlegen pflichtbewusst den Rest. (Aber um ehrlich zu sein, seit wir einen festen Tagesablauf haben, läuft es eigentlich ganz gut.)

Singstar

Ein bisschen problematisch jedoch sind die Mitteilungen zum Homeschooling, die aus den Bildungseinrichtungen eintrudeln. Heute wurden die Kinder zum Beispiel aufgefordert, für den Musikunterricht doch ein Lieblingslied aus der Kindheit der Eltern mit ihnen gemeinsam einzustudieren, als Video aufzunehmen, und dann bitte gleich noch eine Choreographie zu einem anderen Lied. Das sind bestimmt sehr pädagogische Aufgaben, ich kann das als Laie ja nicht beurteilen, und es kann ja auch absolut nichts schief gehen, wenn Kinder Videos von sich beim Singen und Tanzen auf einen Schulserver laden sollen, wo alle anderen dann auch Zugriff haben, aber manchmal hege ich die Vermutung, dass sich noch nicht ganz rumgesprochen hat, dass Eltern gelegentlich – nicht immer! – aber so ab und zu auch einer Tätigkeit nachgehen, die nicht darin besteht, mit den Kindern Scheiß Lieder einzustudieren. Aber das ist nur eine Vermutung. Da ich ja in der DDR aufgewachsen bin, könnte ich natürlich endlich die Gelegenheit nutzen, und den Kindern Lieder wie „Die Partisanen von Amur“ oder „Soldaten sind vorbeimarschiert“ beizubringen. Das können sie dann in der Schule wieder ausbaden.

Kabel

Aber was beschwere ich mich. Immerhin darf man da als Eltern noch mitmachen. Viel selbst organisiertes Homeschooling läuft ja mittlerweile ohne uns ab und manchmal bin ich dann fast ein bisschen eifersüchtig auf die Technik. Als ich letztens erst aufmerksam und präsent helfen wollte, wurde ich zurückgewiesen:

Ein Kabel hat mich also ersetzt. So fängt es an. Wenn die Kinder das nächste Mal abends kuscheln wollen, lege ich ihnen einfach ein Kabel ins Bett. Bitteschön. Müssen sie halt selber wissen.


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Die zu wenigen Texte hier kompensiere ich übrigens durch zu viele Instastories, in denen kleine Anekdoten landen, die es nicht in Texte schaffen.

In der aktuellen Folge MKL reden Patricia und ich über das Thema Vereinbarkeit im Job, davor haben wir über Kinderfilme gesprochen.

Kategorien: Montagspost

leitmedium

Parteiloser Postprivatier.

5 Kommentare

Julia · 31. März 2020 um 11:10

Ich fürchte, das mit der Abschaffung der Zeitumstellung ist nichts geworden. Ich glaube, der Vorschlag wurde von der Eu noch nicht angenommen bzw. geht nichts weiter!
LG Julia

Anne · 31. März 2020 um 12:03

Ich murmeltiere sogar mehrfach am Tag den Wochentag seit wir – mit 2 Metern Abstand – bei der Oma sind. Es wird ja gesagt Demenz sei eine Krankheit der Familie. Zudem haben wir immerwährende Ostern: sie versteckt, ich suche. Heute: Abwaschlappen und eine Schale mit gekochten Kartoffeln. Andersrum geht’s auch: sie ist sicher, dass ich was versteckt habe und sucht tagelang. Zum Glück ist das Baby über jeden Zweifel erhaben 🙂 Jeden Tag Ostern – wär das nicht auch was für Euch?

viermalmeins · 31. März 2020 um 13:53

„Soldaten sind vorbeimarschiert“ ? Ja!!! Mit Choreo!

Franka · 31. März 2020 um 23:36

Ach wie schön. Danke für diesen herrlichen und zugleich strukturgebenden Rahmen!
In Pankows Schule medientechnisch Funkstille auf allen Kanälen. Ich würde bei etwaiger Aufgabe „Unsere Heimat“ auflegen oder „Immer l7ebe die Sonne “ schmettern.

Sabrina · 1. April 2020 um 3:37

Hach sehr erheiternd!

Im übrigen seeeeehr hilfreich für dein giraffisch:
Aus: ich fühle mich… , weil du/ihr… macht.
Mache: ich fühle mich… , weil ICH… brauche. Würdet ihr…?

Jaja durchschaut. Ich bin durch deine Frau auf dich gestoßen.

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