Über erklärenswerte Schimpfwörter, lorioeskes Stroh und Meerschweinchenschnupfen

Veröffentlicht von leitmedium am

Was ist eigentlich…

Was jetzt eigentlich ein Hurensohn sei, fragen die Kinder. Ich zucke kurz schuldbewusst zusammen, weil ich vermute, mal wieder die pikanten Hiphop-Stellen nicht rechtzeitig runtergedreht oder überhustet zu haben. Aber diesmal ist wohl der raue Umgangston auf dem Schulhof schuld und es steht zur Debatte, was das nun genau sei und ob man damit beleidigt werde. Also ein Hurensohn, erkläre ich, das sei, also, puh, wenn eine Sexarbeiterin, das sei wiederum eine Frau, die Sex als Dienstleistung, also… manchmal würden sie in frei… Die Kinder legen die Köpfe schief und sehen mich fragend an. Ob ich eine Rammelbude meinen würde, fragen sie. Eine RAMMELBUDE?, frage ich. Ja, Rammelbude!, das hätte ich mal gesagt, als wir an so einem Haus mit nackten Frauen drauf vorbeigefahren seien und sie gefragt hätten, was das ist. Mit Augenbrauen bis zur Decke hochgezogen sieht mich fraumierau an. Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, jemals das Wort „Rammelbude“ gebraucht zu haben, erkläre ich, aber es wäre schon ein Synonym für ein Bordell, und ja, das könnte schon stimmen. Aber das hätte ich – wenn überhaupt – nur so unüberlegt beim Autofahren gesagt und vielleicht vergessen sie das lieber wieder? Jedenfalls sei das Wort Hurensohn ein wirklich herablassendes Schimpfwort, das Sexarbeiterinnen und deren Kinder diskreditiert und es sei gemein, das zu benutzen und genauso blöd, wie jemand als »Autorinnensohn« zu beschimpfen. Die Kinder nicken zufrieden und wechseln das Thema. Ich nehme mir vor, unterwegs nicht mehr en passant schnell schwierige Fragen zu beantworten, um dann Monate später in Erklärungsnot zu geraten.

Stroh

Dabei gab es am nächsten Tag gleich die nächste kurze Irritation, als die Kinder im Flur standen und wir uns gemeinsam mit dem Wochenendbesuch über das Stroh auf dem Fußboden wunderten. Das Stroh an sich ist in unserer Wohnung seit Neustem ja kein wirkliches Wunder, denn zu meinem Leidwesen habe ich in einem schwachem Moment dem Einzug von drei Meerschweinchen zugestimmt und jetzt leben wir hier zu acht. Jedenfalls ist alles voller Stroh und natürlich bieten sich mir da diverse Gelegenheiten, „Warum liegt denn hier Stroh rum?“ rauszuposaunen, was üblicherweise vom anderen Ende der Wohnung von fraumierau mit einem kurzen Kichern quittiert wird. Diesmal stand also auch die Gastfamilie im Flur und unsere Kinder antworteten auf die übliche Frage mit „Das kennen wir! Das ist aus dem Fernsehen!!!“. Und dann war kurz Stille. Ich stand nach Rammelbudengate natürlich unter Generalverdacht, wedelte aber abwehrend schuldunbewusst mit den Händen, während quälende Schweigesekunden vergingen, bis die Kinder endlich mit „Das ist doch aus Loriot!“ auflösten. Ich atmete wieder aus und machte mir die nächste Notiz, in Zukunft einfach nie wieder irgendwas in Gegenwart der Kinder zu sagen.

Meerschweinchenschnupfen

Das bot sich auch generell an, denn eigentlich war ich abgeschrieben die letzten zwei Wochen. Dabei hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich hatte einen so mäßig angenehmen operativen Alteleute-Eingriff – und laborierte danach ein paar Tage jammernd in der Wohnung vor mich hin. Mein Plan war, Mitleid zu bekommen und vielleicht sogar mal eine Tasse Kakao und so Zuwendung, wie sonst eben die Kinder. Das ging aber nicht, denn während ich gefühlt meine zweite und damit letzte Lebenshälfte medizinisch einläutete und vorher noch leicht panisch ein Testament und eine Patientenverfügung verfasst hatte, bekam eins der Meerschweinchen Schnupfen und das ist natürlich wichtiger als meine letzten Atemzüge. Als mein Versuch, mein allgemeines postoperatives Unwohlsein unter Stöhnen in Worte zu fassen von einem »Hatschie« eines Meerschweinchens unterbrochen wurde, wusste ich, dass ich abgeschrieben bin. Bücher wurden gewälzt, Suchmaschinen befragt, Tierarztpraxen durchtelefoniert. Ich lag so lang einfach reglos auf dem Sofa. So ist sie dann, die zweite Lebenshälfte, dachte ich. Eigentlich war mir das schon klar, als mir das große Holz-Schweinchengehege präsentiert wurde, das instagrammiger aussieht, als alle Bereiche der Wohnung, in denen ich mich sonst aufhalte. Aber manche Familienmitglieder sind mehr Familie als andere, nicht wahr, egal ob mit oder ohne Fell. Immerhin war es ein bisschen lustig, als die Kinder von der Tierärztin zurückkamen und von der gruseligen riesigen Schildkröte berichteten, die sie die dort ganze Zeit mit offenem Mund angestarrt hatte. Die hätte wirklich sehr aggressiv geguckt! Aber selbst die wird mehr beachtet, denke ich, selbst die.

p.s.: Bei Mama Arbeitet gibt es einen Blogpost zu diffamierenden Schimpfwörtern.
p.p.s.: Den Meerschweinchen geht es gut und ich führe hier keine Haustierdiskussionen.
p.p.p.s.: Ich musste diesmal sehr schmunzeln beim ersten Schokoladen-Absatz meiner Blog-Kollegin Laura Dornheim.


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Die zu wenigen Texte hier kompensiere ich übrigens durch zu viele Instastories, in denen kleine Anekdoten landen, die es nicht in Texte schaffen.

In der aktuellen Folge MKL reden Patricia und ich über das Thema Vereinbarkeit im Job, davor haben wir über Kinderfilme gesprochen.

Kategorien: Montagspost

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Parteiloser Postprivatier.

5 Kommentare

Marita Knetsch · 21. Januar 2020 um 8:23

Also bei und gibt es schon immer die Regel, erst die Tiere und dann der Mensch. Schließlich kann sich ein Tier nicht selbst helfen, der Mensch schon. Komischerweise finden das meine Kinder gut, nur mein Mann nörgelt gerne mal rum. Also, du bist nicht alleine mit dem Aufmerksamkeitsproblem. Gewöhne dich einfach daran, es wird nicht besser.

Richard & Hugo · 21. Januar 2020 um 8:40

Rammelbude…ich leg mich weg. Perfektes Kopfkino!
LG, Richard & Hugo vom vatersohn.blog

Julia · 21. Januar 2020 um 9:32

Aber eigentlich ist es ja sehr, sehr schön, regungslos auf dem Sofa liegen zu können ?!

Maja Raye · 21. Januar 2020 um 10:12

Wieder ein wunderbarer Post! 😀
Aber Haustierdiskussion?! Was soll man denn da diskutieren können? Haustiere sind doch toll!! Nur gegen Meerschweinchen bin ich leider allergisch… 🙁

Kathleen · 22. Januar 2020 um 12:52

Ich lese die Posts immer wieder gern. Bitte unbedingt auf Facebook bleiben. Den Fragmente-Blog kannte ich noch nicht und hab mich gleich festgelesen. Wirklich unterhaltsam!

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