Über gefährliche Zahnpasta, den Giftnotruf, Lebenserwartung von Eltern und Nachteile der vernetzten Küche

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Zahnpasta mit Geschmack

»Die ganze Tube?!“, frage ich nach. Gerade hat mir fraumierau leicht aufgeregt am Telefon erklärt, dass der Babysohn in einer stillen Minute eine komplette Zahnpastatube leergegessen hat. Wobei es das nicht trifft. Es handelte sich um „Toothmousse“, eine Calcium-Fluorid-Paste aus der Zahnarztpraxis. Ja, und ob das jetzt gefährlich sei oder nicht, fragt sie nach. Puh, das wisse ich auch nicht, muss aber doch kurz lachen bei der Vorstellung, wie das Kind verschwörerisch im Bad sitzt und sich heimlich eine Tube „Strawberry“-Geschmack reinpfeifft, um danach noch die Zahnseide mit Himbeer-Geschmack durchzukauen.

Fluorid und Giftnotruf

Beim Wort „Fluorid“ jedenfalls erschrickt man ja gleich ein wenig. In Zahnarztpraxen wird man bei einem „Nein“ auf die Frage, ob die Kinder Fluorid-Zahnpasta bekämen, angesehen, als würde man Babyschafe zum Frühstück essen und im Internet signalisieren Dir Kommentierende, dass Dein Kind quasi nur noch Stunden zu leben hat, wenn es mal an einer Fluorid-Zahnpasta vorbeigelaufen ist. Sie hätten da mal eine Überschrift auf Facebook zu dem Thema gelesen. Wirklich, ganz gefährlich. Kurz nach Autismus durch Impfungen! Na, jedenfalls ist mit so kleinen Kinderkörpern nicht zu scherzen, da kann auch eine Überdosis Zahnpasta vielleicht schaden und wenn es um Schaden geht, verfallen Eltern ja berufsmäßig gern in Panik. Wir also auch. Vielleicht sollte man den Giftnotruf anrufen, empfehle ich. Das stellt sich auch als nicht ganz verkehrt heraus, denn da berechnet man immerhin kurz, dass wirklich alles ok ist. Puh.

Hat gut geschmeckt!

Geschirrspülertabs

Den letzten Anruf beim Giftnotruf hatten wir, als ein anderes Kind genüsslich die kleinen Verpackungstütchen von Geschirrspülertabs ausgeleckt hatte. Man kann sich da natürlich fragen „Warum?!“, aber ich vermute, der omnipräsente Zitrusduft bei Reinigungsmitteln macht eben auch einfach Appetit. Ein Wunder, dass die „Avocado“, „Kokos“- und sonstigen nach Lebensmitteln benannten Körperpflegemittel nicht permanent auf Ex getrunken werden. Auch bei den Geschirrspülertabs gab der Notruf jedenfalls Entwarnung, riet uns aber, kein Wasser zu geben wegen möglicher Schaumbildung. (Und weil solche Tipps in Notlagen wirklich hilfreich sind, notiert Ihr Euch jetzt einfach die Telefonnummer von Eurem Giftnotruf.)

Lebenserwartung von Eltern

Wenn einen als Eltern also irgendwas ins Grab bringt, sind es die eigenen Kinder mit ihren Überraschungs-Aktionen. Während sie dann wie Obelix in den Fluorid-Kübel gefallen sind und wir ab sofort in der Zahnarztpraxis „JA!“ sagen können und im Internet erklären, dass wir ja nichts für die Fluorid-Zugabe konnten, tun die Kinder so, als sei nichts gewesen, während man selber circa drei Herzinfarkte nacheinander erlebt hat. Wissenschaftlich wird ja behauptet, Eltern hätte eine höhere Lebenserwartung. Ich kann das nicht bestätigen. Und ich meine nicht den permanenten Schlafentzug. Wir sind aktuell bei fünf bis sechs Stunden elterlichem Schlaf pro Nacht und was soll sein, geht halt auch. Aber diese aufregenden Momente, wenn Du mal wieder denkst, Du hast Dein Kind kaputt gemacht – die kosten Dich jedes Mal ein Jahr Lebenszeit. Ich erinnere mich noch gut an den Erste Hilfe Kurs für Eltern, den wir vor fast zehn Jahren besucht haben. Jahre später riefen wir nachts mit zittrigen Händen den Notruf, weil ein Kind Fieber und Schaum vorm Mund hatte und sich heftig schüttelte. Und als dann kurze Zeit später ein Rettungsteam in der Tür stand und wir sagen mussten „Hat sich alles beruhigt“, fiel mir der Kurs wieder ein. Der Kursleiter hatte uns auf den Weg gegeben: »Und wenn Euer Kind das erste Mal einen Fieberkrampf hat, werdet Ihr den Notruf verständigen und wenn der da ist, wird es sein, als sei nichts gewesen und dann werden Ihr an heute denken.«

Todesursachen von mittelalten Erwachsenen

Doch mit all dem beschäftigen sich die Kinder natürlich nicht. Wobei das Thema Tod auch immer mal wieder diskutiert wird. Noch immer wird beratschlagt, woran nun eigentlich der Nachbar gestorben ist, dessen Verschwinden wir letztens der Polizei gemeldet hatten. Es sei ja normal, dass Menschen sterben, erklären sie sich gegenseitig. Aber eben nur, wenn man alt sei. Aber er sei ja nicht alt gewesen. Nur so alt wie Mama und Papa. Also, das sei schon wirklich sehr alt. Aber es ginge ja auch älter. Es könne ja sein, dass ihm jemand das Bier vergiftet hätte? Oder vor ihm hätten böse Menschen in der Wohnung gelebt und eine Falle gebaut und er wäre aus Versehen reingetreten? Doch dann haben sie die Lösung: Wahrscheinlich hatte er die Krankheit, die man bekommt, wenn man zu viele Süßigkeiten isst!

Kindliche Entgeisterung und Freie Kunst

Schockierter wirkten die Kinder, als wir am Wochenende im Theater waren. Beziehungsweise habe ich es als Theater angekündigt. Denn wir waren in einem Off-Theater in einer ehemaligen Botschaft und saßen bei über 30°C in einem Sitzkreis in einem kleinen Raum und um uns herum liefen drei SchauspielerInnen und intonierten recht abstrakte Töne. Die Kinder sahen mich verständnislos an, weil sie doch mindestens irgendwie Puppen oder wenigstens eine Bühne erwartet hatten und fragten sich wahrscheinlich, ob hier alle irre geworden seien. Auf meine Erklärungen danach, dass es doch toll sei, wenn sich die Musik mal um einen herum bewege und man konnte doch die Augen schließen und den Kreis hören, reagierten sie schlicht mit einem „Ah… ja“ und jetzt werde ich einiges tun müssen, um das verbrannte Wort „Theater“ wieder zu rehabilitieren.

Unterwegs in der ehemaligen Botschaft

Die guten Nachrichten

Die guten Nachrichten der Woche: Nach drei Monaten habe ich die Video-Fernbedienung wiedergefunden! Sie befand sich in der Küche in der Umzugskiste mit den Gewürzen. Auf meine Nachfrage bei den Kindern, wie sie da jetzt genau hingekommen sein konnte, reagierten die großen mit Schulterzucken und der Babysohn lächelte wissend. Ebenso kann ich verkünden, dass die Wohnung beim dieswöchigen Tofu-Anbraten nicht abgefackelt ist. Ich verfolge die Brat-Aktionen aus der Ferne ja dank vernetzter Haustechnik live mit und muss sagen: Auch das ist nicht Lebenszeit-verlängernd.

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Kategorien: Montagspost

leitmedium

Parteiloser Postprivatier.

12 Kommentare

Pia · 12. Juni 2018 um 4:40

Dann muss nun der Fluorid Vorrat in die Videofernbedienung eingespeist werden.
Dann heißt es demnächst „Fluorid wird ausgesaugt“, „Fluorid wurde leer gesaugt“ und „Achtung, Achtung, Konsument vermutlich minderjährig“.

Ina · 12. Juni 2018 um 8:10

Ja die lieben kleinen, wie sieht es eigentlich grau Haar technisch aus bei euch? Bei mir wirkt es in der Richtung die 4 Kinder ;-). Hier ist seit einem Jahr eine Fernbedienung verschwunden und nicht auffindbar, auch nur unschuldige Mienen bei der Frage.
Eine schöne Woche euch!

Lg aus Norwegen
Ina

http://www.mitkindimrucksack.de

Sina · 12. Juni 2018 um 8:52

Das Theatererlebnis kann ich mor lebhaft vorstellen…:-D

Beim letzten Mal als wir alternativem Theater eine Chance geben wollten haben die Schauspieler einen Joint nach dem anderen durchgezogen. Wir saßen in einem winzigen Raum und irgendwann habe ich mich dann doch gefragt ob das Baby (damals noch in meinem Bauch) gerade eigentlich auch Spaß hat.

… und warum wird da immer Farbe verspritzt?

Kathi · 12. Juni 2018 um 11:16

Unsere Fernbedienung habe ich letzten Herbst, nach über zwei Jahren, in den Kartons mit Babywäsche wieder gefunden, die bei der Oma lagerten.

Kristin · 12. Juni 2018 um 15:02

Wahrscheinlich passiert es nie wieder….aber Milch neutralisiert durch das enthaltene Calcium das Fluorid der Zahnpasta

Auch hier wurden schon Autoschlüssel in den Mützenkisten der Kinder gefunden??
LG
wie immer wieder sehr amüsant

Adala · 12. Juni 2018 um 22:50

Oh ja, der Giftnotruf… Den brauchten wir auch gerade.

Vielleicht interessant für den ein oder anderen: es gibt eine App von der BfR zu Vergiftungsunfälle bei Kindern. Dort sind viele Stoffe (Putzmittel, Pflanzen, etc.) gelistet mit einer Angabe wie kritisch es ist, mögliche Symptome und erster Hilfe (Wasser trinken ja/nein, etc.)
Außerdem kann man direkt aus der App den Giftnotruf anrufen.

    ApfelPhi · 14. Juni 2018 um 14:28

    Dank für den Hinweis auf die App.

Steffi · 12. Juni 2018 um 23:01

Danke für den erheiternden Einblick in eure Woche.
Also mir kamen gerade am Ende die Tränen vor lachen beim lesen deiner Push-Nachrichten aus dem ‚Nest‘. ich stelle mir vor wie die fraumierau immer wieder den losgehenden Alarm ausschaltet und wie du aus der Ferne eine leichte Nervenkrise bekommst. Hach… ??

She-may-be · 19. Juni 2018 um 21:31

Unser Erlebnis mit dem Giftnotruf:

Wie der 2,5-jährige zwei Teelöffel Salz hintereinander aß und der Giftnotruf uns zur Kontrolle ins Krankenhaus schickte. Und die Assistenzärztin verwundert sagte: „Aber sowas machen Kinder doch nicht. Das schmeckt doch nicht.“ Darüber lachen wir auch drei Jahre später immer noch.

    leitmedium · 19. Juni 2018 um 21:38

    Ich hoffe, das war nicht die einzige amtliche Diagnose 🙂

vierpluseins: Montagspost mit Giftnotruf - Geborgen Wachsen · 12. Juni 2018 um 21:10

[…] Montags schreibt mein Mann über das Familienleben mit Humor, denn mit Humor geht es immer viel einfacher. Diesmal geht es um Zahnpasta und den Giftnotruf, dessen Nummer ihr unbedingt speichern solltet. Mehr lesen könnt Ihr hier. […]

Fail of the day #14 - Deckel-Liebe, Zahnpasta-Glibber und ein Stoffaufhängungsdingsbums | Bodschadablog · 27. September 2018 um 14:20

[…] auch bei ihrer Zahnpasta-Tube geschehen. Caspar Mierau hat mal beschrieben, wie sie den Giftnotruf angerufen haben, weil der Sohn eine ganze Tube Zahnpasta gegessen hat. […]

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