Über unmögliche Zahnfotos in nutzlosen Galerien

Was es denn in diesem Geschäft zu kaufen gäbe, fragen die Kinder und drücken sich die Nase an der Scheibe platt. Wir stehen vor einer Galerie, in der an weiß getünchten Kalkwänden avantgardistische Schwarzweiß-Fotos hängen. Sanft schiebe ich die Kindernasen vom Fenster weg. Bei jeder Nase-an-Scheibe-Situation bekomme ich beim Gedanken daran, dass mir gleich jemand vorwurfsvoll Fensterputzmittel in die Hand drückt leichte Hitzewallungen, denn ich hasse Fensterputzen. Eine an einem minimalistischen Holzschreibtisch sitzende Galeristin wirft mir einen leicht missbilligenden Blick zu. Noch mehr als Fensterputzen hasse ich ja diese Blicke. Sanft schiebe ich die Kindernasen wieder zum Fenster und halte mich gerade noch davon ab, ihre Köpfe mit leicht kreisenden Bewegungen an der Scheibe entlanggleiten zu lassen. …

Über Abschiedsrituale, Notfallanrufe, Wasserschaden und keine Blumen

Es gibt bei uns zwei Abschiedsrituale, wenn ich als erster das Haus verlasse. Wenn ich nur kurz weggehe, ruft fraumierau in den Hausflur, ich solle keinen Unsinn machen und vorsichtig fahren. Das muss sein. Jedes Mal. Manchmal frage ich dann zur Sicherheit noch einmal nach, an was ich alles denken soll, damit ich nicht aus Versehen doch Unsinn mache und unvorsichtig fahre. Sie rollt dann leicht mit den Augen und wir haben beide unserer Pflicht genüge getan. Und dann gibt es das Ritual, wenn ich kurz vereise. Da bitte ich drum, dass zu Hause niemand Unsinn macht und es schön wäre, wenn alle so vorsichtig sind, dass ich keinen Notfallanruf bekomme. Notfallanrufe bei meiner Abwesenheit haben nämlich Tradition und die Messlatte hängt sehr hoch. Ich erinnere mich an den Anruf in Bulgarien, mit der Mitteilung, die Küche stünde knietief im Geschirrspülerschaum. Oder den Anruf in Basel, sie hätte den Wohnungsschlüssel verloren und wisse nicht, wie sie wieder nach Hause könne. Ich müsse sofort helfen! Oder in Mainz im ZDF-Fernsehgarten (es war beruflich!), etwas sehr sehr schlimmes sei passiert: Der letzte Fisch im Aquarium sei verstorben und würde jetzt dramatisch im Filter hängen und sie würde das bestimmt nicht in Ordnung bringen. Oder in München, unsere kurzzeitige Mitbewohnerin sei mit einer unbestimmten juckenden Hautkrankheit in Quarantäne gekommen und sie würde gerade literweise Desinfektionsmittel in die Wohnung kippen. Oder in London, sie sei mit den Kindern im Krankenhaus, ich solle ihr sofort Pizza dorthin bestellen, weil sie das Baby doch nicht für einen Gang in die Scheiß Kantine allein auf der Station lasse.

Über Geschenke von vor drei Jahren, Ersatzkinder und Hasen im Himmel

Sie hätten ja noch die Weihnachtsgeschenke von damals, heißt es in leicht vorwurfsvollen Ton. Ich bin mit den Kindern zu Verwandten gefahren, mit denen vor ein paar Jahren der Kontakt abgebrochen ist. Zwei leicht abgewetzte Geschenkkartons werden schweigend auf den Tisch gestellt. Während seine Geschwister sich über die unerwarteten Weihnachtsfreuden hermachen, sieht mich der Babysohn fragend an, hebt seine leeren Hände und raunt „Hö?“. Das letzte mal hat er diesen verwunderten Ton von sich gegeben, als ich ihn in einem Hotel zum Scherz in ein Laufgitter gestellt habe, er sich irritiert umsah und nicht verstand, wofür diese Gerätschaft sein soll. Doch diesmal war das Hö alarmierender. Es drohte Ressourcenknappheit!.

Über fünf Minuten Ruhe, Nichtstun und lesende Eltern

Fünf Minuten. Ob sie uns vielleicht fünf Minuten allein lassen könnten? Wir Eltern haben wieder erfolglos versucht, uns heimlich in die Küche zurückzuziehen und hinter der Espressomaschine zu verstecken. Noch immer hängen wir der romantischen Vorstellung hinterher, einen kurzen Moment am Tag ohne die Kinder als Paar verbringen zu können, obwohl die Kinder auch in der Wohnung sind. Die ursprüngliche Annahme, mehrere Kinder würden sich ja gegenseitig beschäftigen, stellte sich leider als Ammenmärchen raus. Zudem üben Eltern eine magische räumliche Anziehungskraft aus. Meine Feststellung, dass eine Dreizimmerwohnung für fünf Personen nicht reicht, muss ich hiermit offiziell zurückziehen. Da sich die gesamte Familie immer auf einer Fläche von vier Quadratmetern drängt, können wir es bei der nächsten Wohnung auch bei einer Wohnküche mit Familienbett belassen. Das ist bestimmt auch viel ökologischer. Nur mehrere Badezimmer, die hätte ich gern.