Über Heimweh in Hamburg, Lederkissen, Furby, Autoritätsverlust und Toilette mit Tragetuch

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Gummelstiefel

„Gummelstiefel anziehen, ja?“. Es ist kurz vor Mitternacht, der Babysohn sitzt senkrecht im Bett und will seine Schuhe. Warum er sich denn anziehen wolle, fragen wir. Na weil er nach Hause wolle. Sofort. Es ist nicht unser Bett, in dem er sitzt und wenn wir ehrlich sind, beschwert er sich zurecht. Eigentlich wollen alle weg. Dabei sind wir in Hamburg und fahren gern hierher. Diesmal, weil fraumierau einen mehrtägigen Workshop besucht und der Rest der Familie zwei Tage in der Stadt rumschlendern will.

Um die Unterkunft hat sie sich gekümmert. Die letzten Male hatten wir schöne Übernachtungen. Diesmal ist es schief gegangen. Als ich mit den Kindern abends ankomme, denke ich noch „Na, von außen muss das Haus ja nicht unbedingt schön sein“. Doch dann kommt ein junger Typ, fragt, ob wir auch hier schlafen würden und dass er sich da ganz dolle freue. Und dann zeigt er uns den Weg zu unserem Appartement. Also dem Imaginären. Denn Schritt für Schritt wird in meiner Vorstellung aus dem Appartement eine winzige Wohnung, aus der winzigen Wohnung ein Zimmer mit Toilette und dann sagt er die magischen Worte „Die Duschen sind hier, die Toiletten da hinten. Euer Zimmer ist am Ende des Ganges“. Bum. Traumblase zerplatzt. Wir stehen in einem neonbeleuchteten Gang eines ehemaligen Bürogebäudes. Unser Raum befindet sich vor einem Vorhang, hinter dem Gastro-Küchengeräte gestapelt werden, hat aber immerhin Fenster zu zwei Seiten: Eins nach draußen und eins in den Flur. Klar, war bestimmt mal das Wartezimmer einer Arztpraxis oder so. Per Chat teile ich fraumierau mit, es wirklich toll sei, dass unsere Unterlunft genug Toiletten für alle habe! Aber ob sie diesmal vielleicht auf silberfische24.to gebucht hätte?

Lederkissen

Damit es nicht komplett nach Abrissbude aussieht, wenn fraumierau ankommt und wir vielleicht sogar unbeobachtet schlafen können, versuche ich, die Jalousie zu richten. Auf den Betten befinden sich ein paar schwarze Lederkissen. Die Kinder sind ganz begeistert und hüpfen wild drauf rum. Ich frage mich, woher eigentlich Lederkissen kommen und wer überhaupt sowas kauft und warum, beschließe aber, es nicht genauer wissen zu wollen und entferne die abwischbaren Teile mit leicht spitzen Fingern. Auf der im Zimmer ausgehängten Hausordnung steht, dass man ersatzloses Hausverbot bekommt, wenn man sich daneben benimmt. Ist das jetzt beruhigend oder nicht? Immerhin kann man das Zimmer von innen abschließen. Schade, dass fraumierau nie The Shining gesehen hat. Sämtliche „Du, ich glaube, da stehen Zwilling auf dem Flur“-Scherze am Abend greifen ins Leere.

Lederkissen – warum?

Furby

Immerhin sind wir diesmal in guter Begleitung: Vor der Abreise aus Berlin war ich mit den Kindern bei einer Besprechung in einem Hackerspace. Dort lag ein alter Furby rum und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich gebe zu, kurz war ich auch gerührt, als ich sah, wie man das hässliche kleine Ding zum Schlafen bringen kann (auf den Rücken legen, beruhigend die Hand auflegen und es fängt leise an zu schnarchen) und die Kinder waren ganz außer sich vor Freude, als sie es sich ausleihen durften. Die gesamte Autofahrt laberte uns das Ding jedenfalls voll, bis es irgendwann im Handschuhfach landete, weil wir es nicht mehr aushielten. Alle „Das ist aber anstrengend, wenn ein Kind so viel redet“-Beschwerden quittierte mich einem entspannten ¯\_(ツ)_/¯, weil, naja, ob Furby jetzt noch obendrein redet, macht ja bei drei Kindern auch keinen Unterschied mehr. Jedenfalls redete Furby im Handschuhfach weiter und da riss eines der Kinder das Fach auf und zeigte leicht entnervt den Schweigefuchs* und knallte die Klappe wieder zu.

Kurze aber intensive Furb-Liebe

Drei Sekunden am Schwanz ziehen

Das versteht natürlich der arme Furby nicht, und bekommt irgendwann eine gruselig tiefe Stimme. Fast hätte ich ihn Chucky getauft. Ob er jetzt erwachsen sei, fragen die Kinder panisch. Ich musste googeln, wie man ihn resettet und lernte: Auf den Kopf stellen, drei Sekunden am Schwanz ziehen und Zunge runterdrücken. Auf die flehende Bitte, das auch mal bei den Geschwistern zu probieren, habe ich lieber nicht reagiert. Furby bekam jedenfalls einen Herzinfarkt und redete irgendwann gar nicht mehr. Ich glaube, alle waren ein bisschen erleichtert, hoffe aber, es sind nur die Batterien.

Adé, Autorität

Adäquaten stimmlosen Kuscheltier-Ersatz gab es dafür auf der Rückfahrt. Die Kinder hatten so einen Abzock-Automaten entdeckt, in den man einen Euro steckt, um dann einen nicht funktionierenden Kran zu steuern, der dann kein Kuscheltier rausholt. Ich erkläre den Kindern also, dass sie natürlich ihr Taschengeld verwenden können wie sie wollen, aber dass da wirklich nie jemand was gewinne und eigentlich sei das Betrug. Das schien motivierend genug, so dass ein Euro im Schlitz verschwindet, die Kinder genau einen Versuch haben und natürlich nicht nur ein, sondern gleich zwei Kuscheltiere rausholen. Das ist ein Wendepunkt in unserer Familie, denn ab sofort bin ich nicht mehr „Frag Papa“-Papa, sondern „Er hat gesagt, da kommt nie was raus, aber es kamen gleich zwei“-Papa. Völliger Autoritätsverlust. Für immer. Leider werden jetzt schon Pläne geschmiedet, das nächste Mal das ganze Taschengeld mit zum Automaten zu nehmen. Vielleicht ist das ja meine Gelegenheit, doch wieder Recht zu haben?

Glück gehabt.

Mit Tragetuch pullern, nun ja.

Was ich das nächste Mal in Hamburg besser plane, ist der Besuch von Eisdielen. Diesmal hatte ich mich von Bewertungen verleiten lassen, gezielt die besten Eisdielen aufzusuchen. Plötzlich stand ich dann mit drei Kindern auf der Reeperbahn und beobachtete, wie die Kindern drüber sinnierten, warum so viele Brüste auf Plakaten zu sehen sind. Noch vermuten sie irgendwas mit Stillen, denke ich. Jedenfalls war der Babysohn im Tragetuch und schlief und ich musste mal und ich weiß nicht, ob es da schon Ratgeber gibt, aber mit schlafenden Kind im Tragetuch auf Toilette ist auch keine Erfindung der Evolution. „Was soll sein?“, denke ich noch. Bin ja ein Mann, habe ich ja den Steh-Vorteil. Klar, aber nur in der Theorie, Freundchen, denn dann sieht man dann eben nichts. Und wenn Du dann auf einer ranzigen Kneipentoilette auf der Reeperbahn merkst, dass Du Dir gerade selber ans pullerst und nichts davon siehst, wünscht Du Dir ganz kurz doch einen Kinderwagen. Und eine trockene Hose. Ich will jetzt nicht weiter ins Detail gehen, aber ich habe eins meiner zwei T-Shirts ausgezogen, als Sichtschutz getragen und den Kindern erklärt, dass wir jetzt eilig zurückmüssen. fraumierau ist fast unter Tränen zusammengebrochen vor Lachen. Freue mich ja, wenn ich für Heiterkeit sorge. Ich glaube, diese Woche kaufe ich mir eine zweite Hose. Dann kann ich im Vatertag so richtig ordentlich sorglos mit einem Orangensaft und ohne Tragetuch einen draufmachen.

* mehr zum Schweigefuchs vielleicht nächste Woche

Und worüber haben ich diese Woche nicht geschrieben? Fehlen noch ein paar Notizen zur Lesung in Stuttgart und die re:publica war ja auch noch. Na und der Schweigfuchs eben. Psssst! Damit ich das nicht alles vergesse, könnt Ihr mich gern wieder auf einen Kaffee einladen (Paypal-Link).

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Kategorien: Montagspost

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7 Kommentare

Ina · 8. Mai 2018 um 10:50

Wie immer lustig bei euch! Ich frag mich dann allerdings wie machen das Männer mit so richtig dickem Bauch, die sehen doch auch nichts?
Also nicht nur Wechselsachen für die Kinder mitnehmen sondern auch für tragende Papas.

Lg aus Norwegen
Ina

http://www.mitkindimrucksack.de

    Marie Nerly · 8. Mai 2018 um 22:11

    naja so lustig ist es nun auch wieder nicht!! ;)))

    lg

Chris28 · 8. Mai 2018 um 13:29

Hahaha der Furby!
Ich erinnere mich daran, dass mein erstes und einziges Erlebnis mit dem Teil genau so ablief wie bei euch. Ich hatte mir mit 14 Jahren den Furby von einer Freundin ausgeliehen, weil er ja sooo toll sein sollte….
Dann quasselte er und quasselte und liess sich nicht beruhigen. Immer wenn ich ihn zum „schlafen brachte“ , krähte er 30 sec später schon wieder los. Meine Eltern wurden immer ungeduldiger und schließlich hatte mein Vater nach 30 min einen Nervenzusammenbruch und schrie mich an, ich solle das Teil zum Schweigen bringen. 😀
Batterien raus….und ich wollte den Furby nie wieder sehen.

Alex · 9. Mai 2018 um 14:22

Hallo Caspar,

ich bin ja sehr auf den Schweigefuchs gespannt. Die Ankündigung darüber mehr zu erfahren, lässt mich wahrscheinlich schlaflos zurück in der Hoffnung ab Montag mehr zu wissen. (Wer hat ihn erfunden? Wieso?)

Habt ihr denn fraumierau verziehen, euch in dieser üblen Unterkunft unterzubringen?

Liebe Grüße
Alex

vierpluseins: Montagspost aus Hamburg - Geborgen Wachsen · 8. Mai 2018 um 21:14

[…] Immer montags schreibt man Mann über seine Woche und das Leben in der Großfamilie. Dieses Mal mit Schwerpunkt Hamburg, denn während ich am Wochenende auf einer Weiterbildung war, ist er mit den Kindern über die Reeperbahn geschlendert. Mehr darüber gibt es hier. […]

Über den Schweigefuchs, "Geschlechterunterricht", Muttihefte und einen Foto-Automaten - vier plus eins · 14. Mai 2018 um 23:40

[…] war der Versuch der Kinder, endlich mal einen Foto-Automaten zu benutzen. Nachdem sie ja nun schon erfolgreich Kuscheltiere aus einem Abzock-Automaten gezogen haben, habe ich mir die „Ich kann auch tolle Handy-Fotos machen und wir drucken sie […]

links vom 23.05.2018 | endorphenium · 25. Mai 2018 um 16:20

[…] Über Heimweh in Hamburg, Lederkissen, Furby, Autoritätsverlust und Toilette mit Tragetuch … […]

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