Über aus-Versehen-Bisse, Gott versus Weihnachtsmann, Zollstöcke und Polyester

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Das war nicht mit Absicht!

16 Uhr Bescherung auf dem Weihnachtsmarkt. Solche Termine vergessen die Kinder nie. Wir schieben uns langsam durch die Menschenmassen Richtung Weihnachtsmann. Der Babysohn auf meinem Arm flippt aus vor Freude und brüllt immer wieder „Ho-Ho-Mann! Ho-Ho-Mann!«. Ok, das ist ein bisschen niedlich. Die größeren Kinder werden aufgefordert, sich in zwei Reihen aufzustellen. Eine für die Jungen, eine für die Mädchen. Ich verkneife mir den Kommentar, ob man für die Spielzeuge irgendwie Genitalien bräuchte. Ist ja nicht Twitter hier. Die Kinder maulen auch rum. Was das denn solle, protestieren sie und überlegen kurz, wie sich verkleiden könnten, um gemeinsam in einer Reihe stehen zu können. Das ist auch niedlich. Und weihnachtlich. Mir wird kurz warm ums Herz. Die Kinder, es ist so schön, wenn sie zusammenhalten. Ich knuffe den Babysohn ein wenig und warte, dass die Kinder mit den Geschenken zurückkommen. Sie kommen zurück, aber stehen niedergeschlagen da. Nein, in so einer Schlange anstehen, das wäre nichts für sie. Und die anderen würden sich immer vordrängeln. Und überhaupt. Plötzlich kippt die Stimmung.

Ich übergebe fraumierau die Situation und verstecke mich hinter dem Babysohn. Es täte mir leid, aber so mit Kind auf dem Arm könne ich da jetzt nicht helfen. Beste Ausrede. Immer. fraumierau rollt kurz mit den Augen und verschwindet mit den Kindern. Sekunden später tauchen alle drei wieder auf. Die Kinder weinen bitterlich. Drama. Nein, das sei nicht Absicht gewesen, heißt es. Was denn, frage ich? Vor dem Weihnachtsmann seien die beiden ausgeflippt. Ein Finger wurde umgeknickt, gebrüllt und das andere Kind biss zurück in den Finger. Wie jetzt, frage ich. Ihr habt Euch vorm Weihnachtsmann geprügelt? Auf dem Markt? Ja, nein, es sei ein Versehen gewesen! Wie genau man aus Versehen in einen Finger beißen könne, hake ich nach. Es gibt keine schlüssigen Antworten, auch wenn die Kinder der festen Überzeugung sind, dass dies eben schon mal passieren könne. Wir schieben die Kinder langsam Richtung Ausgang. Andere Eltern werfen uns die  erleichterten „EIN GLÜCK DASS ES DIESMAL NICHT MEIN KIND IST“-Blicke zu. Ok. Dieser Aufstand ging auf uns.

Göttliche Weihnacht

Dabei ging es schon auch beschaulich weihnachtlich zu. Zum Beispiel als die Kinder überlegten, wie das eigentlich so ist, mit der Welt. Wir bummeln gerade die Straße entlang, als folgende Überlegungen zu hören sind:

  • Kind 1: Stell Dir vor, wir steuern uns gar nicht selbst, sondern der Weihnachtsmann entscheidet für uns alle. Alles was wir machen, bestimmt er.
  • Kind 2: Ja. Wie Marionetten!
  • Kind 1: Genau! Und wenn an den langen Fäden gezogen wird, dann heben sich unsere Arme und Beine.
  • fraumierau – mit säuselnder Stimme: Und jetzt stellt Euch mal vor, der Weihnachtsmann wäre Gott.
  • Kinder: Boah, Mama, Gott gibt es nicht!

Weihnachtspost

Aber es gab auch Weihnachts-Unfälle. Oder Fast-Unfälle. Zum Beispiel als ich am Samstag von der Post zurückkam. Kurz vor Schluss hatte ich mich in einer ellenlangen Schlange angestellt, um drei große Beutel voll Weihnachtssendungen von fraumierau abzugeben. Sie verschickt immer so Schnickschnack und ich finde es gut, weil dann haben wir weniger Schnickschnack. Kaum bin ich jedenfalls zu Hause, fragt sie, ob die Post denn vielleicht noch offen hätte. Nein, natürlich nicht, deswegen musste ich doch so eilen, erkläre ich. Und warum sie das überhaupt wissen wolle. Na, weil… Sie schweigt. Was denn jetzt, hake ich nach. Es könne sein… also sie sei sich nicht sicher… aber wahrscheinlich habe sie gerade aus Versehen ihr iPhone mit der Post verschickt. Ich breche kurz innerlich zusammen. Das Telefon liegt natürlich einfach unter einem Stapel Kinderkram. Alles gut. Ich frage mich nur, was es eigentlich aussagt, dass man es für möglich hält, gerade sein iPhone verschickt zu haben. Aber was soll ich sagen. Ich habe letztens meinen Autoschlüssel verloren und eine Woche später auf der Straße wiedergefunden. Naja und von dem Kugelschreiber, den ich jahrelang gesucht habe, ganz zu schweigen.

Zollstöcke

Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich mir zu Weihnachten wünsche: Einen unzerbrechlichen Zollstock. Nicht, dass ich jetzt permanent einen Zollstock bräuchte. Über mein handwerkliches Geschick habe ich ja schon ausreichend berichtet. Und ich brauche auch keinen, weil ich ein Mann bin. Auch wenn das Internet mir gerade lauter „für Männer… für Frauen“-Geschenklisten unterjubelt und ich mich offenbar über einen Akkuschrauber, eine Axt und vielleicht noch eine Penisverlängerung freuen sollte. Aber manchmal brauche selbst ich eben einen Zollstock. Und genau dann ist immer keiner da. Und warum ist keiner da? Weil die Kinder jeden Zollstock kaputt machen. Es muss eine magische Anziehungskraft sein. Wir haben ja auch so ein Laserding (MÄNNERSPIELZEUG!!!), aber als notorischer Angsthase ist mir so ein Laserstrahl natürlich viel zu gefährlich, wenn die Kinder in der Gegend sind. Zumal der Babysohn wie ein Kätzchen dem roten Punkt hinterherläuft und maßlos enttäuscht ist, dass er sich nicht fangen lässt. Aber aufgeben tut er trotzdem nicht. Ich frage mich, wie lange man ein Kind mit einem auf einen Motor geschnallten Laserpointer beschäftigen könnte, wenn der nur nicht so gefährlich wäre.

Jedenfalls brauchte ich einen Zollstock am Wochenende und – oh Freude – ich habe einen gefunden. Mein Vergangenheits-Ich hat einen Zollstock heimlich zur Seite geschafft und versteckt. Er war wie neu und noch ganze zwei Meter lang. Unglaublich. Ich hätte nie geahnt, dass mir das Vorhandenseins eines Zollstocks so Freude bereiten kann. Vielleicht wird ja doch noch ein Mann aus mir. Ich messe also so glücklich vor mich hin, drehe mich kurz um, drehe mich zurück … und was liegt vor mir? EIN ZEBROCHENER ZOLLSTOCK. Der Babysohn sieht pikiert zu Boden und schimpft auf das blöde Ding, das offenbar nicht so wollte, wie er. Ich belehre, dass der Zollstock nicht zum Spielen da sei. Drehe mich kurz um und sehe noch aus dem Augenwinkel… Nein! Der Zollstock hat den nächsten Knick. Meine Güte, was haben Zollstöcke nur Kindern getan? Zehn Sekunden Unaufmerksamkeit und der nächste Kollege hat das Zeitliche gesegnet. Selber Schuld, Herr Mierau, selber Schuld.

Jeder Zollstock. Immer.

Polyesterhunde

Da fällt mir auf: Wir Berliner sagen zwar „Stöcker“ statt „Stöcke“, aber nicht Zollstöcker. Da sollten wir mal drüber nachdenken, wa? Aber jedenfalls besser , die Kinder leben sich an Zollstöcken aus, als im Internet Kommentare zu verfassen. Das machen ja schon die Großen und die lassen dabei dann permanent ihren Dampf ab und sind unendlich weise. Zum Beispiel wenn fraumierau eine Jacke verlost. Die Diskussion geht dann ungefähr so:

  • Internet: DIE JACKE HAT TIERFELL!
  • Antwort: Nein, das ist Polyester. Steht auch drauf.
  • Internet: POLYESTER IST FAST IMMER HUNDEFELL AUS CHINA!
  • Antwort: Es ist ein namhafter Hersteller. Ich denke, das stimmt schon so wie auf dem Label.
  • Internet: WENN MAN WAS NIMMT, DAS WIE TIERFELL AUSSIEHT, ABER NICHT TIERFELL IST, UNTERSTÜTZT MAN DIE TIERFELL-MAFIA, WEIL DANN ALLE DENKEN, ES SEI TIERFELL! UND AUSSERDEM LÜGEN DIE ALLE UND ES IST DOCH TIERFELL, DAS HABE ICH IM INTERNET GELESEN.
  • Antwort: Ich habe das mal recherchiert. Da steht, dass schon Fell-Betrug gibt, aber genau diese Firma wird explizit gelobt, weil sie sich auch öffentlich mit anderen Firmen gegen Tierfelle einsetzt.
  • – Kurze Pause –
  • Internet: WENN MAN POLYESTER WÄSCHT, ENTSTEHEN MIKROPLASTIKKÜGELCHEN!

Ich empfehle ja, einfach nackt zu sein und kein Internet zu benutzen. Das Erste schützt die Plastik-Hunde und das Zweite meine Nerven. Danke. Oder wie Loriot schon sagte: »Meine Schwester heißt Polyester«:

Och nö…

Falls ich jetzt ein wenig jammernd klang: Das liegt dran, weil der Montag heute noch montagiger war als sonst schon. Nachdem sich morgens die Trinkflasche der Tochter auf dem Schulweg in die Mappe ergossen hat, erreichten mich am Nachmittag nämlich diese wenig aufbauenden Worte.

So viel Liebe in der Vorweihnachtszeit. Ich glaube, ich beiße jetzt irgendjemand in den Finger. Ganz aus Versehen!

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Kategorien: Montagspost

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9 Kommentare

Gisela · 19. Dezember 2017 um 5:24

Ich schenke Dir einen Zollstock aus weichgekotztem Polyester. Den kann man nicht zerbrechen. Wenn auch im Internet kaputtnölen.

Dein Geschenkpaket kannst Du bei der rammelvollen Post abholen und in die Mappe mit der ausgelaufenen Flasche stecken oder in Euer Suppen-Auto. Werktags beim Schaltermann mit dem abgebissenen Finger.

Liebe Grüße frohe Weihnachten … unď dreh bittebitte nicht durch. Wir alle brauchen diesen/dieses Blog! Gisela

Lene · 19. Dezember 2017 um 7:43

Liebe in der Vorweihnachtszeit wird überbewertet…zumindest wenn es um Magen-Darm geht 😉

Susa · 19. Dezember 2017 um 13:29

Herrlich! Ihr scheint wirklich viel zu Lachen zu haben…
Ich jedenfalls amüsiere mich köstlich.

maria · 19. Dezember 2017 um 13:40

🙂 herrlich, die Zollstock-Geschichte spielt sich hier auch ab. Seit Kurzem habe ich deshalb ein Maßband verwendet, aber das habe ich verwuschdelt an den Spielzeugkran verloren..

Chris28 · 19. Dezember 2017 um 13:56

Hahahaha! Überall das gleiche! 😀 😀 Unsere Zollstöcke sehen genau so aus wie deine! (Babysohn 18 Monate).

anne · 20. Dezember 2017 um 9:58

Mir ist beim Weiterleiten des Artikels aufgefallen dass meine Handytastatur den Plural von Zollstock nicht beherrscht und dann Zollstücke daraus machen will. Q.e.d.

    Aless · 20. Dezember 2017 um 12:38

    Hahahaha. Jetzt habe ich richtig gelacht. 🙂

    Auch bei uns geistern 20 Zollstücke und momentan genau 1 2m langer Zollstock herum. 😀 wer weiß wie lange noch!

Christina · 21. Dezember 2017 um 13:15

Ich wurde auf einer Kindergeburtstagsfeier meiner kleinen Schwester von ihrer besten Freundin aus Versehen in den Hintern gebissen …

Kathi · 1. Januar 2018 um 19:20

Wir suchten schon länger die original Fernbedienung vom TV, war einfach verschollen. Als ich nun vor kurzem die Kartongs mit der Baby Wäsche für Baby Nr.3 sichtete, sie lagerten seit Baby Ende von Nr.2 auf dem Dachboden der Oma. Fand ich sie in einem dieser Kartongs wieder. Der Mann brach kurz zusammen ;).

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