Über Redewendungen, Renovieren, Pinterest, ausgenudelte Schraubenköpfe und Freud und Leid mit Videoanleitungen

Veröffentlicht von leitmedium am

(Fast) jeden Montag schreibt @leitmedium seine Gedanken zur letzten Woche mit und ohne Familie.

Redewendungen

»Jetzt kau ihm doch kein Ohr ab!«, versuche ich, das Streitgespräch zu unterbrechen. Die Kinder fassen sich schockiert an die Ohren. Kurz herrscht angespannte Stille. »Nein, nein, das ist eine Redewendung! Ohren werden nicht wirklich abgekaut«, versichere ich. Erleichterung macht sich breit. Ich erinnere mich wieder daran, wie schlecht Redewendungen im Eifer des Gefechts sind. Man will etwas prägnant sagen, erweist sich selbst aber einen Bärendienst und die Kinder verstehen nur Bahnhof. Letztens erst redete ich beiläufig darüber, dass man die und die Kröte eben schlucken müsse und dann: der Blick, ey. Ich glaube, Kinder nehmen lieber drei Runden Geisterbahnfahren auf dem Rummel, als sich durch Redewendungen verunsichern zu lassen.

Wörtlich nehmen

Aber es kann natürlich auch lustig sein. Vor ein paar Monaten ging ein Video rum, wo ein Vater seinem Kind das Baseballspielen beibringen wollte und ihn mit „Keep your eyes on the ball!“ auffordert, den Ball nicht aus den Augen zu lassen, bis das Kind sein Gesicht auf den Ball legt, weil… darum wurde es eben gebeten. Herzerwärmend niedlich, aber das müsst Ihr Euch selber raussuchen, weil ich teile so witzige Kindervideos fremder Kinder nicht mehr (und würde sonst Wasser predigen und Wein trinken).

Renovieren und Pinterest

Doch kommen wir zum Ernst des Lebens: Ich sitze gerade zwischen Kartons, Bücherstapeln und irgendwelchem Zeug, das ich lieber nicht zu Tage gefördert hätte, weil wir auf die glorreiche Idee gekommen sind, nicht nur ein Haus auszubauen, sondern auch noch die Wohnung zu renovieren.  Also eigentlich lief es so, dass fraumierau meinte, das müsse jetzt sein, sofort, weil spätestens als sie letztens feststellte, dass sich eine vergessene Mülltüte im Flur an die Wand „geklebschimmelt“ hätte, sei dann auch mal das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich glaube, hinter vorgehaltener Hand haben BesucherInnen auch schon getuschelt und es gibt eine geheime „Wir waren bei den Mieraus und kommen nie wieder“-Gruppe auf StudiVZ.

Schwerlastregal mit Büchern. Der Staub hat sich in der Luft verteilt.

Doch jetzt wird alles schön! Wahrscheinlich hat irgendein Pinterest-Kanal mit Pastel-Wänden fraumierau den Floh ins Ohr gesetzt, dass wir jetzt auch ein mattes Rosa-Grau-Ambiente brauchen. Wenn ich hier eine App sperren dürfte, wäre es Pinterest. Die sorgt nämlich dafür, dass alles ständig umgeräumt wird und ich am Wochenende nicht meine nicht vorhandene Briefmarkensammlung sortiere, sondern unter Schweißausbrüchen den Akkuschrauber auspacke. „Du, ich hab‘ da was auf Pinterest gesehen…“

Ausgebuddelte Schraubenköpfe

Mir ging das mit dem Renovieren jedenfalls gegen den Strich, weil ich ja Handwerksarbeiten generell meide wie der Teufel das Weihwasser, in diesem Fall aber einen ganz konkreten Grund hatte: Als wir vor über zehn Jahren in dieser Wohnung einzogen, brachte ich so ein Metallstangen-Regalsystem an der Wand an und war so schlau, billige Schrauben und einen ADAC-Werbeprämien-Akkuschrauber zu verwenden (So viel Geld gespart!). Als die Schraubenköpfe sofort ausnudelten, beschloss ich: Wir werden hier niemals malern oder ausziehen, weil das Regal kriege ich nicht mehr ab. Doch jetzt war es weit. Sonntag, 17. September 2017, 21:30 Uhr: Die Scheiß Schrauben verharrten stur wie Esel in ihren Dübeln. Das Leben hasste mich.

Gummibänder

Auf Youtube erklärten mir dämliche suchmaschinenoptimierte Handwerker-Hilfsvideos, dass ich einfach ein Gummi zwischen Akkuschrauber und Schraube legen müsse, dann würde das wie von Zauberhand gehen. Ich glaube, die meisten Handwerkervideos wurden nie in der Realität probiert, sondern einfach von anderen Videos nachgemacht. Das ist Hörensagen und fällt spätestens dann wie ein Kartenhaus zusammen, wenn man es wirklich nachmacht. Diese Videos hier wurden jedenfalls nicht mit wirklich festsitzenden Schrauben getestet, denn statt dass sich die Schrauben wie durch ein Wunder lösen, begannen die Gümmibänder schwarz zu werden und nach verbrannten Autoreifen zu riechen. Immerhin weiß ich jetzt, wie man mit dem Akkuschrauber Feuer macht. (Korrektorat-Anmerkung von Kitschnudel fraumierau: Pretty Woman wäre nicht so lustig gewesen, wenn Julia Roberts in der Szene mit der Schnecke ein iPhone gehabt hätte!)

Schweineschwanz

Und die neue Information, dass Profis das Problem mit einem Schweineschwanz lösen, half mir auch nicht weiter. Manchmal machen einen diese Tipps alle ratlos. Vor allem, wenn es Sonntag Nacht ist und wegen Gewerkschaften und Gott die Läden geschlossen haben. Einen Schweineschwanz hätte ich mir sofort gekauft – nur um sagen zu können „Du, soll ich Dir meinen Schweineschwanz leihen?“ Kurz hatte ich überlegt, ob ich auf nebenan.de frage, ob mir jemand seinen Schweineschwanz leiht, aber ich fürchte, dann steht hier wieder so ein Typ in enger Latexkleidung in der Tür und fragt, ob fraumierau nicht doch ein bisschen gebrauchte Wäsche verkauft. Hatten wir alles schon. eBay Kleinanzeigen sei Dank.

Videoanleitungen

Wobei das jetzt alles auch ein bisschen zu kulturpessimistisch ist. Eigentlich sind Videoanleitungen eine Rettung – besonders für Eltern. Egal, was die Kinder machen wollen, man findet ein Video, dass es Schritt für Schritt erklärt. Webrahmen bespannen? Kein Problem! (Web wie Weben, nicht Internet, ihr Online-Süchtigen!) Laterne basteln? Gib mir fünf Minuten, dann helfe ich Dir! Wie lustig gewöhnt man an diese Videos ist, fiel mir auf, als ich das erste Mal in meinem Leben in einem Taco-Restaurant war und heimlich das iPhone unter den Tisch haltend ein Video sah, wie man nun genau Tacos isst. Ja, das ist einfach, aber manchmal steht man eben auf dem Schlauch. Und ich bin immer noch davon gebrandmarkt, dass ich bei meinem ersten Besuch nach der Wende im „Westen“ mir eine Garnele in den Mund schob, um festzustellen, dass die ja eine Schale hat, aber zu stolz war, sie wieder rauszunehmen. Es war meine letzte Garnele.

Aussortieren

Wir mussten in den letzten Tagen also die Wohnung für Malerarbeiten freimachen. Natürlich lassen wir gleich zwei Zimmer malern, damit das Chaos perfekt ist. Mir wurde zugesichert, dass sei alles kein Problem. Nur ein paar Stunden umräumen! Sonntag gegen Mitternacht stellten wir dann fest, dass es ja vielleicht doch ein bisschen komplexer ist, alles. Schriftlich bekam ich diese Aussage leider nicht. Immerhin hatten wir noch ein Schwerlastregal von fraumieraus Buchverkäufen und konnten es mit hunderten Büchern beladen. Leider habe ich jetzt eine Staublunge und höre schon die Flöhe husten: Das Wiedereinräumen der Bücher wird genutzt, um mal „über alles drüberzusehen“. Es wird aussortiert! Aussortierten verursacht bei mir aber leichte Panik. Ich habe doch letztens erst Bücher für Momox geopfert! Nicht, dass hier noch Minimalismus Einzug einhält.

Fortpflanzung

Wobei: Nachdem ich gerade ein Video sah, wo zwei Menschen mit verdächtig geweiteten Pupillen versicherten, dass MinimalistInnen auch Kinder bekommen können, frage ich mich, ob man minimalistische Kinder aus religiösen Gründen (zu unordentlich!) aus der Schule nehmen darf. Wenn ja: Bin dabei! Ansonsten: Doch doch, dieses eine Buch, das werde ich bestimmt mal lesen. Wenn ich Zeit habe. So 2031 vielleicht? Oder 2032? Nein, ich lüge mir nicht in die Tasche!

Die nackte Wahrheit

Der Maler hat mittlerweile die Tapeten gelöst. Darunter erblickten psychedelische Muster wieder das Licht der Welt. Wer lebt denn mit so einer Farbkombination? Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!

Wer lebt denn mit so einer Tapete?

Und falls Ihr jetzt Lunte gerochen habt: Ja, hier waren ein paar Redewendungen eingebaut. Ihr dürft zählen. Es gibt garantiert nichts zu gewinnen!

Zur Abwechslung gab es letzte Woche übrigens mal wieder ein 12von12.

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Kategorien: Montagspost

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Parteiloser Postprivatier.

7 Kommentare

Heike · 18. September 2017 um 23:33

Die Anekdote mit der Garnele – grandios! ? Und ich wette, jeder hier liest erstmal (World Wide) Web-Rahmen und nicht das Original.

Danke für diese wie immer tolle Unterhaltung!

Anne · 19. September 2017 um 11:24

Danke für die Einblicke – man fühlt sich so normal… Das Regal habt Ihr ja vermutlich von der Wand bekommen, aber falls es wen interessiert: das mit den Gummibändern klappt tatsächlich, man sollte die Schrauben allerdings mit der Hand rausdrehen. Nachteil: anstrengend. Hamwa wegen Bauarbeiten och grad durch. Ist auch nur eine Schraube abgebrochen und wohnt jetzt auf ewig in der Wand…

Julia Unangespießt · 19. September 2017 um 13:04

Diese Garnele erinnert mich an eine Heuschrecke, die ich mal gegessen habe. Auch im Westen. Aber eher so Anno 2012 rum. Die bestehen quasi nur aus Garnelenschale, diese Heuschrecken. Macht man wohl auch alles ab: Flügel, Beine, Kopf. Wusste ich auch nicht. Und was bleibt dann noch?!

    leitmedium · 19. September 2017 um 13:07

    Oh. Ich habe auf der republica mal eine Heuschrecke gekauft – und auch ganz gegessen. Hat nicht geschmeckt, jetzt weiß ich auch, warum. Die gerösteten Mehlwürmer waren tatsächlich ganz lecker.

Sandra · 20. September 2017 um 23:05

….in meiner Ausbildung war ich gerade im Praktikum in einem Kindergarten und erzählte den Kinder ein Erlebnis von mir: „….an dem Tag hat die Sonne geknallt! “ Ein Junge sieht mich sehr interessiert an und fragt mich: „Wie laut hat sie denn geknallt?“ ??

Sunny · 22. September 2017 um 21:57

Ich habe mich neulich finanziell etwas betrogen gefühlt und das Wort „Halsabschneider“ benutzt… keine gute Idee vor den Kindern…

Über eine Fast-Notlandung, Dropsaugen versus Flughafensicherheit und eine fehlende Badehose - vier plus eins · 25. September 2017 um 23:53

[…] Letzte Woche ging es hier unter anderem darum, wie man so als ehemaliger Ossie nach der Wende mit Essen wie Garnelen und Kiwis überfordert war. Ich gebe zu, diese Woche hält mich auch auf Trab. Aber diesmal war ich entspannt genug, einfach zu fragen, wofür was da ist. […]

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